Ökologie & Gesellschaft

Back to the roots mit Ackerhelden

21.06.2022 - Wenn uns der Trubel der Stadt zu viel wird, finden wir uns immer öfter auf der Suche nach einem Fleckchen Erde ganz für uns – zum Durchatmen, Spielen oder auch, um das eigene Gemüse anzubauen. Doch weder aktuelle Immobilienpreise noch die Warteliste beim benachbarten Schrebergartenverein lassen allzu viel Hoffnung zu. Vor allem in Ballungszentren freut sich der, der wenigstens auf Terrasse oder Balkon ein paar Tomaten anbauen kann. Genau dort setzen die Gründer Tobias Paulert und Birger Brock von Ackerhelden an: Sie wollen jedem Menschen den Anbau des eigenen Gemüses in Bio-Qualität ermöglichen – unabhängig von der Wohnsituation. Im Interview zeigt Geschäftsführer Tobias Paulert, wie das möglich ist.

Was macht das Konzept der Ackerhelden-Bio-Mietgärten so besonders?

Unser Konzept ist maßgeschneidert auf moderne Lebensumstände. Im Durchschnitt verbringen wir wöchentlich zwei bis drei Stunden im Supermarkt – genau so lange, wie man braucht, um 40 Quadratmeter Bio-Acker zu bestellen. Natürlich kann man sich damit nicht selbst versorgen – doch das ist auch nicht unser Ziel. Wir wollen vermitteln, wo unsere Lebensmittel herkommen und wie sie wachsen. Um den Start zu erleichtern, sind die 40 Quadratmeter deshalb mit 20 kräftigen Bio-Jungpflanzen bepflanzt, und die Gartengeräte stellen wir vor Ort zur Verfügung. So kann jede und jeder auch ohne gärtnerische Vorerfahrung direkt loslegen. Ein kleiner Teil des Gartens bleibt unbepflanzt. Dort können Ackerheldinnen und -helden eigenes Bio-Gemüse pflanzen und aussäen. Während der Saison stehen wir dann beratend zur Seite, helfen bei Fragen weiter und versorgen die Ackerheldinnen und -helden laufend mit Tipps und Rezepten. Die Community, die dabei ensteht, ist wahnsinnig wertvoll und spornt uns immer wieder an weiterzumachen.

Wie entscheidet ihr, an welchen Orten neue Mietgärten entstehen?

Natürlich bieten Bundesländer wie zum Beispiel Mecklenburg-Vorpommern oder Brandenburg viele Flächen, doch wir wollen im Speckgürtel der Ballungszentren bleiben, um die Wege so kurz wie möglich zu halten. Davon abgesehen richten wir uns bei der Standortwahl danach, wo Interessentinnen und Interessenten sind. Inzwischen sind so in Deutschland und Österreich an 25 Standorten Mietgärten entstanden.

Wir wollen die Erzeugung von Lebensmitteln wieder erlebbar machen, denn die Entfremdung in der Bevölkerung ist groß.

Tobias Paulert

Wie erklärst du dir, dass viele Menschen den Bezug zu Lebensmitteln verloren haben?

Die Generation meiner Großeltern wusste noch genau, wie man Gurken anbaut und sie einmacht, weil alle einen Selbstversorgergarten hinter dem Haus hatten. Damals wurde das Wissen von Generation zu Generation weitergegeben oder in der Schule gelernt. Doch mit Anbeginn des Wirtschaftswunders der 50er-Jahre waren Lebensmittel vor allem in Westdeutschland leicht verfügbar. In der Straße meiner Oma galt es dann nicht mehr als schick, sich selbst zu versorgen. Wer das tat, stand im Generalverdacht, es sich nicht leisten zu können, im Supermarkt einzukaufen. So ist viel Wissen in der breiten Bevölkerung verloren gegangen. Dank unserer Community können wir das ändern. Denn hier gärtnern alle Generationen nebeneinander und können dieses unvorstellbar wertvolle Wissen weitergeben.

Klein und Groß ackert im blühenden Bio-Mietgarten.
Inzwischen steckt hinter Ackerhelden weit mehr als ein Unternehmen für Mietgärten. Tobias und Birger wissen aus eigener Erfahrung, wie viel Potenzial Aktionen in der Schule haben – schließlich wurde genau dort 1986 der Grundstein für ihr heutiges Engagement gelegt. Damit andere Kinder auch in einem grünen Klassenzimmer aufwachsen können, gründeten sie die gemeinnützige Organisation „Ackerhelden machen Schule“. Foto: Ackerhelden

Die Möglichkeit, einen Acker zu mieten, wird immer häufiger angeboten. Der Unterschied: Bei euch steckt echtes Bio drin. Was bedeutet das?

Für Bio-Qualität gibt es verschiedene Standards. EU-Bio ist zu erkennen anhand des stilisierten Blatts auf grünem Grund. Nach den Richtlinien von EU-Bio kann ein Betrieb zwar Bio-Gemüse anbauen, parallel aber konventionelle Massentierhaltung betreiben. Außerdem können bis zu fünf Prozent genmanipuliertes Saatgut und Pestizide eingesetzt werden. Kurz: EU-Bio ist ein Kompromiss. Ein Kompromiss, der von Neuauflagen der EU-Richtlinien bis zu Neufassungen immer strenger wird. So werden alle EU-Staaten mitgenommen, und man kann den einheitlichen Standard gewährleisten. Das ist aber an und für sich auch schon echtes Bio.

Und echtes Bio?

Echtes Bio ist ganzheitlich gedacht. Wir sind bisher der einzige Anbieter, der bundesweit und in Österreich ausschließlich Mietgärten in Anbauverbandsbio anbietet. Dabei kann man sich sicher sein, dass der ganze Betrieb zu 100 Prozent nach den Richtlinien des jeweiligen Verbandes umgestellt wurde. Das fängt bei der Vorbereitung des Bodens an. In der konventionellen Landwirtschaft wird der Boden synthetisch-mineralisch gedüngt, und es werden Pestizide eingesetzt, um Schädlinge fernzuhalten und Erntemaxima zu erzielen. Diese Wirkstoffe sind für den Menschen erwiesenermaßen nicht gesund, gelangen aber über die Wirkungskette Boden-Frucht-Mensch in unsere Körper. Bei der Erzeugung von Bio-Lebensmitteln sind solche synthetischen Wirkstoffe und Chemikalien verboten.

Häufig wird hinterfragt, ob da, wo Bio draufsteht, auch wirklich Bio drinsteckt. 

Das ist absurd. Überall gibt es schwarze Schafe, somit auch in der Landwirtschaft. Aber es ergibt keinen Sinn, von Einzelfällen auf alle zu schließen. Für die Zertifizierungen gibt es gesetzliche Regelungen. 

Wie wird während der Saison sichergestellt, dass die Richtlinien der Anbauverbände eingehalten werden?

Alle Mitglieder der Anbauverbände werden mehrfach im Jahr geprüft – angemeldet und unangemeldet. Letzteres kann man sich wie eine Dopingkontrolle vorstellen. Es kann passieren, dass morgens ein Prüfer auf dem Acker steht und sich die Gemüsekulturen auf Parzelle 24, beispielsweise Rote Bete, anschaut und wissen möchte, woher das Saatgut oder die Jungpflanzen stammen. Dann muss ich ihm die Rechnung bzw. den Lieferbeleg und das Biozertifikat des Erzeugers/Verarbeiters vorzeigen. Damit das möglich ist, werden die entsprechenden Daten und Dokumente von uns laufend digital gepflegt. Das bedeutet natürlich auch, dass Ackerheldinnen und -helden, die neue Pflanzen setzen oder säen, die entsprechenden Nachweise bei uns abgeben müssen. So können alle sicher sein, dass wir den hohen Bio-Standard halten.

Alt-Text links: Frisches geerntetes Bio-Gemüse, wie Fenchel, Möhren, Zucchini, Kohlrabi und Mangold aus der Vogelperspektive. Alt-Text rechts: Zwei Gießkannen vor einem Hochbeet.
Links: Ackerhelden will Bio-Lebensmittel für alle erlebbar machen. Das fängt bei den Preisen an. Auch eine alleinstehende Person mit Kindern soll es sich leisten können zu ackern. Deshalb bieten sie die Parzelle für 229 Euro pro Saison an. Über die Saison liefert diese dann im Schnitt Biogemüse im Wert von 623 Euro. Foto: Ackerhelden / Rechts: Hochbeete werden in Schulgärten als Lernorte für das eigens entworfene nachhaltige Bildungsprogramm eingesetzt. Die gesamte gemeinnützige Projektarbeit ist spendenfinanziert. Fotos: Ackerhelden, Markus Spiske/Unsplash

Wann sollte man sich bei euch melden, um noch eine Parzelle für die aktuelle Saison zu ergattern?

Wir versuchen alles möglich zu machen. Aktuellen Ackerheldinnen und -helden garantieren wir, dass sie auch im nächsten Jahr eine Parzelle am gleichen Standort bekommen – wenn auch nicht exakt die gleiche, denn Flächen werden immer wieder auch mal anders angelegt. Ansonsten starten die Gärten Mitte Mai und laufen bis November. Das heißt, im Juni ist der Zug für die aktuelle Saison abgefahren. Doch Interessentinnen und Interessenten können sich bereits für das nächste Jahr melden. Wir gehen dann schon in Verhandlungen mit Eigentümerinnen und Eigentümern der Nachbarflächen. So können wir die geringe Fläche, die wir in Deutschland für Landwirtschaft noch zur Verfügung haben, effizient nutzen. Was kaum jemand weiß: Wir verlieren jeden Tag mehrere Fußballfelder an Versiegelungen wie Straßen, Parkplätze, Siedlungen und ebenerdige Supermärkte. Das ist verrückt! Unversiegelte Flächen und Böden werden nicht genug wertgeschätzt. Dabei sind sie das wertvollste Gut, das wir haben.

Boden ist unser wertvollstes Gut.

Tobias Paulert

Inwiefern spürt ihr die Auswirkungen des Klimawandels?

Unmittelbar! Die Böden sind trocken, die Tiefenfeuchte fehlt, und das Wetter wird immer unberechenbarer. Entsprechend müssen wir bei den Sorten im Anbauplan umdenken. Das Gleiche gilt für die Beratung, weil andere Sorten natürlich auch eine andere Pflege benötigen. Auf einmal funktionieren auch klassische Mittelmeerkulturen in Deutschland – und zwar nicht nur in Freiburg, sondern bis hoch in den Norden. Als wir Ackerhelden vor zehn Jahren gegründet haben, wollte eine Kundin Melonen pflanzen. Ich war damals vor Ort und habe ihr davon abgeraten. 2019 und 2020 hat sie mir Fotos von ihren geernteten Früchten geschickt.

 

Hochbeetfarm am Essener Rathaus.
Neben den Mietgärten bietet Ackerhelden inzwischen auch zertifizierte Hochbeete an und schafft damit mitten in der Stadt Raum für den Anbau von Gemüse. Weiterer Vorteil: Mit dem Hochbeet kann man ganzjährig Ackerheld werden. Mit dem mitgelieferten saisonalen Saatgut kann es dann sogar im Winter mit Spinat, Feldsalat und Postelein losgehen. Foto: Ackerhelden

2022 scheint wieder ein sehr trockenes Jahr zu werden. Gerade mal 42 Prozent der üblichen Regenmenge sind im Frühjahr deutschlandweit durchschnittlich gefallen. Wie wappnet ihr euch und eure Ackerheldinnen und -helden?

Ökologisch mit Wasser umzugehen heißt bei diesen Temperaturen und Wetterbedingungen immer mehr ökonomisch mit Wasser umzugehen. Doch wir sind in Deutschland gar nicht gewöhnt, Wasser wertschätzend zu nutzen. Viele können heute in mehreren Sprachen Gedichte analysieren, aber es fehlt genau dieses Know-how. Dabei ist nichts davon kompliziert oder schwer, die Devise lautet einfach: gewusst wie! Wir zeigen, was möglich ist.

 

Wie bewertest du, dass die meisten Betriebe noch immer konventionelle Landwirtschaft betreiben?

Natürlich sind Prüfung und Dokumentation für den Bioanbau aufwendig. Trotzdem kriegen wir das mit unseren wenigen Bordmitteln hin. Deswegen kann ich es nicht hinnehmen, wenn konventionelle Landwirtinnen und -wirte zu mir sagen, sie können das nicht umsetzen. Auch wenn es um die zusätzlichen Gebühren für die Prüfung geht, habe ich kein Verständnis. Wenn nicht einmal die stemmbar sind, läuft im Unternehmen etwas schief. Natürlich ist die Sachlage bei Tierhaltung komplexer. Wenn zum Beispiel Tieren laut Anbauverband mehr Auslauf gewährt werden muss und dafür bauliche Veränderungen vorgenommen werden müssen. Aber auch andere Branchen müssen immer mal wieder Geld in die Hand nehmen für betriebliche Umgestaltungen – warum sollte das bei der Landwirtschaft anders sein? Meiner Meinung nach ist es ganz einfach: Wer will, der kann und sollte – vor allem, wenn es ums Klima, unsere Gesundheit und Schadstofffreiheit geht.

Gemüseanbau ist erlernbar. Die Devise lautet: gewusst wie!

Tobias Paulert

Welche Pläne habt ihr für die Zukunft von Ackerhelden?

Unseren Wirkungszeitraum zu erweitern ist uns wichtig, denn wir wollen erlebbar machen, dass der Anbau von Gemüse das ganze Jahr über möglich ist. Viele wissen das gar nicht mehr. Über Jahrzehnte wurde öffentlichkeitswirksam vom Einzelhandel vermarktet, wann es Erdbeeren und Spargel gibt. Doch wann die heimische Gurkensaison beginnt, wissen die wenigsten, schließlich gibt es sie das ganze Jahr im Supermarkt zu kaufen. Wir wollen den Menschen zeigen, dass man auch im Winter regional und saisonal Gemüse anbauen kann, und verstärkt alte Gemüsesorten wieder auf den Tisch bringen. Außerdem sind die Quartiere aktuell ein großes Thema, wo wir uns im Rahmen von Nachhaltigkeits- und Umweltschutzmaßnahmen einsetzen.

 

Die beiden Gründer von Ackerhelden
In der Landwirtschaft ist die Arbeit dem Zyklus der Natur und der Witterung unterworfen. Die Saison auf den Parzellen startet im Mai, nach den letzten Bodenfrösten. Dann muss alles ganz schnell gehen: Pro Parzelle müssen 150 Bio-Jungpflanzen in die Erde. Da kommt bei ca. 2000 Parzellen in ganz Deutschland einiges zusammen. Die agile Arbeitsweise im Ackerhelden-Team ist dafür sehr wichtig. Alle helfen aus, wo es gerade nötig ist. Das Kernteam besteht aus zehn Leuten, die von Mai bis November durch bis zu 75 Saisonkräfte unterstützt werden. Foto: Ackerhelden


Titelbild: Ackerhelden


Autor/-in

Valerie Bachert

Valerie Bachert ist Journalistin, Chefin vom Dienst und Nachhaltigkeits-Beauftragte. Ihr Interesse gilt den Bereichen ökologischer Landbau, bewusster Konsum, Artensterben, soziale Ungerechtigkeit und nachhaltige Ernährung.

Beiträge von Valerie Bachert


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