Nachhaltigkeit – der gemeinsame Nenner des 21. Jahrhunderts

Trendforschung ist eine komplexe Wissenschaft, die gesellschaftliche Entwicklungen analysiert und daraufhin begründete Prognosen für die Zukunft machen kann. Foto: Ryutaro Tsukata/Pexels

19.01.2021 - Nachhaltigkeit liegt nicht nur im Trend, sondern ist Teil eines Phänomens, das man als „Megatrend“ bezeichnet. Wie ist dieser Begriff zu verstehen? Und bedeutet die Verknüpfung der Umweltbewegung mit dem Trendbegriff etwa, dass Nachhaltigkeit eine flüchtige Erscheinung ist und vielleicht bald wieder „out“ sein könnte? In diesem Beitrag geben wir einen Einblick in die Trendforschung und erklären, wieso diese zu Unrecht von einigen mit oberflächlichen Themen assoziiert wird – und was es mit dem Megatrend Nachhaltigkeit auf sich hat.

Mit dem Begriff „Trend“ verbinden viele Menschen Kurzweiligkeit, etwa einen bestimmten Kleidungsstil, dem heute alle nacheifern, und den sie, überspitzt gesagt, morgen schon wieder vergessen haben. Trends sind jedoch oft viel mehr als das. Sie zeigen Veränderungen und Strömungen in sämtlichen gesellschaftlichen Bereichen, die zuweilen sehr tiefgründig sind. Die Trendforschung beschreibt, dokumentiert und analysiert diese Veränderungen und kann darauf aufbauend Prognosen für die nächsten fünf bis zehn Jahre treffen.1 Innerhalb der Trendforschung wird zwischen der streng qualitativen und der streng quantitativen Trendforschung unterschieden. Da Trends jedoch komplex sind, hat die seriöse Trendforschung Methoden entwickelt, die mathematisch-statistische Verfahren mit verbal-logischen Verfahren kombinieren, um sie möglichst präzise abzubilden.

Mit unserem heutigen Vernetzungsgrad können sich Trends ungleich schneller ausbreiten. Dennoch bleibt die Bezeichnung „Megatrend“ nur wenigen besonderen Phänomenen vorbehalten. Foto: CHUTTERSNAP/Unsplash

Die Gesellschaft im Blick

Im großen Stil befasst sich in Deutschland das Zukunftsinstitut mit Trends. Es existiert seit 1998 und gilt heute sogar international als führender Ansprechpartner bei Fragen zur Entwicklung von Gesellschaft und Wirtschaft. Es arbeitet laut eigenen Angaben mit einem journalistisch-narrativen Ansatz, der verschiedene Methoden der Trendforschung mit Vorgehensweisen aus der qualitativen Sozialforschung kombiniert, wie zum Beispiel Interviews mit Expertinnen und Experten oder Kundinnen und Kunden. Dazu nutzt es Daten, die es selbst in Umfragen sammelt, sowie Daten aus anderen seriösen Quellen wie dem Statistischen Bundesamt. Auf Basis aller gesammelten Daten zu einem bestimmten Thema formuliert das Zukunftsinstitut daraufhin Annahmen, auch Hypothesen genannt, die es anschließend untersucht und prüft. Dabei wird der Trend sozusagen dingfest gemacht. Im nächsten Schritt wird er genau beschrieben und eine fundierte Einschätzung zu seinem weiteren Verlauf getroffen. Das Zukunftsinstitut legt hohen Wert darauf, die analysierten Trendentwicklungen erzählerisch und visuell so aufzubereiten, dass Institutionen und Firmen sie leicht nachvollziehen und nutzen können. Laut Eigenaussage ist das Ziel des Instituts, Unternehmen und Einrichtungen zum Handeln zu motivieren und die richtigen Weichen für die Zukunft zu stellen. Und das geht nur, wenn Menschen emotional berührt werden und daraufhin die Bereitschaft entwickeln, ihr Verhalten zu ändern.2 Vielleicht nennt es sich deshalb auch „Zukunftsinstitut“ anstatt „Trendinstitut“.

Ein Begriff, der hohe Wellen schlägt

Was genau ist nun ein Trend, und ab wann spricht man von einer gesellschaftlichen Veränderung? Das Wort „Trend“ hat seinen Ursprung im protogermanischen „trandijaną“ (= „drehen“) und ist aus dem Englischen „to trend“ zu uns gekommen, was so viel bedeutet wie „sich neigen, sich erstrecken, in einer bestimmten Richtung verlaufen“. Bei uns beschreibt der Begriff heute eine Entwicklungstendenz, die über einen gewissen Zeitraum beobachtet und statistisch erfasst werden kann.3 Das heißt, ein Trend muss eine zeitliche Entwicklungskurve aufweisen und eine auffallende, messbare Zahl an Teilnehmerinnen und Teilnehmern haben. Definitionen dieser Art scheinen etwas vage zu sein. Speziell in diesem Fall könnte man sich vielleicht fragen, wieso es keine konkreten Zahlenangaben gibt, wie viele Menschen teilnehmen müssen, damit etwas zum Trend wird – aber bei komplexen und abstrakten Themen ist es nun mal generell schwierig, sie scharf einzugrenzen. Das gilt vor allem für Fragen, die die Gesellschaft betreffen, weil dabei einige wenige Menschen sehr viele Menschen gleichzeitig betrachten und sich dazu selbst zu Außenstehenden machen müssen. Diese Situation lässt sich veranschaulichen, indem man sich vorstellt, man wollte einen ganzen Wald betrachten – wie weit man sich erst von ihm entfernen muss, bevor er in das eigene Blickfeld passt!

Kein Fähnchen im Wind

Doch zurück zum Trend. Diesen kann es also nur geben, wenn viele Menschen ihm folgen. Und was ist nun ein Megatrend? Genau das, was der Begriff schon nahelegt: das Ganze in riesig. Den Begriff „Megatrend“ verdanken wir John Naisbitt, einem Zukunftsforscher aus den USA. Er steht für lang anhaltende Veränderungen in Gesellschaft, Politik und Wirtschaft, die Menschen in mehreren Lebensbereichen massiv beeinflussen. Das können zum Beispiel kulturelle Identität, Bildung, Konsum- und Freizeitverhalten, Arbeitsalltag oder politisches Engagement sein. Ein Megatrend verändert aber nicht nur das Leben von Menschen in einem Land oder einer Region, er verändert das Leben von allen Menschen weltweit. Dabei ist sein Einfluss natürlich nicht überall gleich groß und wirkt auch nicht unbedingt gleichzeitig. Manchmal gehen Menschen verschiedener Regionen ganz unterschiedlich mit dem Megatrend um – aber er wirkt, direkt oder indirekt, auf alle. Beispiele für Megatrends sind die Globalisierung, die Digitalisierung – und Nachhaltigkeit!4

In dem indischen Bundesstaat Sikkim ist biologische Landwirtschaft per Gesetz verordnet. Nachbarregionen liebäugeln bereits mit Nachahmung. Foto: Anja Disseldorp/flickr (CC BY 2.0)

Eine Idee für die ganze Welt

Das Zukunftsinstitut beschreibt Nachhaltigkeit („Neo-Ökologie“5) bereits seit über zehn Jahren als Megatrend – und ein Ende ist noch lange nicht in Sicht. Die neue Handlungsmoral im Sinne eines wachsenden Umwelt- und Verantwortungsbewusstseins beeinflusst unseren Alltag im 21. Jahrhundert wie kaum etwas anderes. Die Menschen scheinen immer stärker zu erkennen, dass ihre eigene Existenz untrennbar mit dem Gesundheitszustand des Planeten verbunden ist. Die Umweltbewegung ist daher extrem erfolgreich und hat über einen vergleichsweise kurzen Zeitraum hinweg mehr Menschen vereint als irgendeine Religion.6 Anders als häufig behauptet, ist Umweltschutz auch kein „White People Problem“, also kein Luxusthema des Westens mehr: Der indische Bundesstaat Sikkim betreibt 100 Prozent ökologische Landwirtschaft. Costa Rica deckt schon heute seinen Energiebedarf nahezu vollständig mit erneuerbarer Energie. Touristen auf der Insel Palau müssen nach Ankunft einen Vertrag unterzeichnen, in dem sie sich verpflichten, die strengen Nachhaltigkeitskriterien der Insel einzuhalten. In Bolivien wurde ein nachhaltiger Umgang mit Ressourcen in der Verfassung festgehalten und priorisiert.7 Und im buddhistischen Königreich Bhutan gibt es das sogenannte „Bruttonationalglück“, nach dem das Wohlbefinden des Menschen, die Erhaltung der Natur und ein gerechter demokratischer Staat die wichtigsten gesellschaftlichen Ziele darstellen.8 Nachhaltigkeit beschäftigt also alle, auch die Nationen, die Menschen hierzulande weniger im Blick haben.

Ein umweltbewusstes Leben bedeutet schon lange nicht mehr zwangsläufig ein Leben auf dem Land. Gerade die Bevölkerung in unseren Großstädten kämpft heute für mehr Nachhaltigkeit. Foto: Pavel Nekoranec/Unsplash, Johannes Strötker/Pexels

Ein Treiber von Veränderung

Laut Zukunftsinstitut ist Neo-Ökologie der zentrale Treiber für vier Dimensionen des Wandels:9

Neues Naturverständnis: Gesundheit und Natur als Synonym

Wir wissen, dass wir ohne die Natur nicht existieren können, und suchen nach Kompromissen in den Verhältnissen von Natur, Mensch und Technik. Unsere Gesundheit ist uns wichtig, und Natur ist für uns gleichbedeutend mit einem gesunden, guten Leben.

Neue Werte: Eine neue globale Identität

Vor allem unsere junge Generation teilt weltweit ein neues Mindset, das auf ökologischen Werten basiert. Diese riesige kollektive Bewegung wurde möglich gemacht durch den hohen Grad an Vernetzung und wachsenden Wohlstand.

Neue Märkte: Post-Individualisierung

Wir haben uns weiterentwickelt; wir fühlen uns immer stärker als Teil eines großen Ganzen und somit auch global verantwortlich. Das Wohl der Gemeinschaft ist uns wichtiger denn je. Deswegen haben wir begonnen, unser Konsumverhalten kritisch zu hinterfragen und damit die Märkte zu verändern.

Neue Wirtschaft: Post-Wachstum

Wir verstehen die Klimakrise als große Aufgabe unserer Zeit, die wir alle gemeinsam lösen müssen. Dafür müssen wir unsere Wirtschaft verändern, von blindem Wachstum, egal um welchen Preis, hin zu einem progressiven Wachstumsparadigma. Wir sind überzeugt, dass der Wohlstand von morgen nur auf einer neuen Betrachtung von Wachstum aufbauen kann.

Die Zukunft ist grün

Nachhaltigkeit ist eine kollektive Bewegung, die unsere Welt allen Prognosen zufolge in den nächsten zehn Jahren stärker prägen wird als jeder andere Megatrend. Der Unterschied von heute zu früher im Nachhaltigkeitsbewusstsein der Menschen ist, dass er nun weniger mit Feindbildern und Weltuntergangsstimmung, dafür mit Optimismus und einem starken Handlungsdrang einhergeht. Das ist auch gut so – denn beides brauchen wir, um die Wirtschaft so sehr auf den Kopf zu stellen, wie es nötig ist. Unternehmen wie Steinbeis Papier zeigen, wie es geht, und dass Ökologie und Ökonomie sich nicht gegenseitig ausschließen müssen. Sie zeigen auch, wie genau man ein Unternehmen grundlegend nachhaltig (um-)gestalten kann, wenn man es nur ernsthaft angeht. Mehr zur Unternehmensgeschichte von Steinbeis Papier finden Sie hier.

 

Titelbild: CHUTTERSNAP/Unsplash


Autor/-in

Isabella Bigler

Isabella Bigler ist Redakteurin und Texterin. Hier schreibt sie über nachhaltige Themen, die Vergangenheit und die Zukunft – gelegentlich mit Unterstützung ihrer engagierten Interns Lumen Nguyen und Liam Jennings.

Beiträge von Isabella Bigler


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