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Papier vs. digital, Teil 2: Haptik und Wahrnehmung

08.02.2022 - Über Digitalisierung wird derzeit viel gesprochen. Doch was macht es mit uns, wenn wir etwas Gedrucktes in die Hand nehmen? Steinbeis Papier unterstützt Schulen in der Region. Das haptische Erlebnis und die kognitiven Vorteile gerade bei Kindern sind Indikatoren dafür, dass Papier durch kein digitales Endgerät ersetzt werden kann.

„Lieber den Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach“ – passender könnte ein Zitat nicht beschreiben, welchen Stellenwert das physische Medium gegenüber dem digitalen auch in der heutigen Rezeption noch einnimmt. Was man in den Händen hält, dem wird nach wie vor mehr Glauben geschenkt. Psychologen und Hirnforscher sind der Überzeugung, dass Menschen als multisensorische Wesen eher auf Anreize reagieren, die mehrere Sinne ansprechen. Sehen, hören, riechen, schmecken und fühlen – in Kombination ergibt sich nicht nur ein informatives, sondern auch ein emotionales Gesamtbild.

Analoge Gegenbewegung

Dennoch befinden wir uns mitten in einer Medienrevolution: Haben auf Papier gedruckte Bücher, Zeitschriften, Zeitungen oder sogar handgeschriebene Briefe den Austausch zwischen Menschen lange Zeit bestimmt, kommt jetzt eine Flut von digitalen Informationen hinzu. Und es ist verlockend, diese riesigen Datenmengen auf sämtlichen digitalen Endgeräten zu jeder Zeit von jedem Ort der Welt aus abrufen zu können. Doch der digitale „Overload“ lässt derzeit auch eine Gegenbewegung entstehen. Sie erkennt den Wert des gedruckten, des physischen Mediums als besonderes Bedürfnis an und besinnt sich so auf etwas, das im Menschen fest verankert ist. Ergo: Die Bücherregale füllen sich wieder, und die Schallplattenindustrie erfährt eine regelrechte Renaissance.

Digital können viele Informationen schnell und von überall abgerufen werden. Doch nur die Betrachtung von Inhalten schafft nicht die Intensität wie das Erleben von Inhalten, die beispielsweise in einem Buch gedruckt sind. Tast- und Geruchssinn erweitern hier in vielfacher Hinsicht das Wahrnehmungsspektrum. Fotos: fauxels/Pexels, Cup of Couple/Pexels

Fühlen prägt die Entscheidungsfindung

Die Natur hat es so vorgesehen, dass schon Babys im Mutterleib einen Tastsinn entwickeln. Durch Berührung mit Mund, Händen und Füßen erfahren sie nach der Geburt, dass es Objekte gibt, die nicht zu einem selbst gehören – so entsteht das Gespür für den eigenen Körper, was zu ersten Schritten der Selbstreflexion führt. Mit den Händen identifizieren Babys ähnliche Strukturmerkmale an Dingen, ordnen sie in Kategorien und bekommen so eine Vorstellung von ihrer Umwelt. Diese Erfahrungen sind entscheidend für das spätere Leben, denn sinnliches Erleben hat einen großen Einfluss auf unsere Entscheidungen: Gerüche, Farben, Formen, Temperaturen, Oberflächen und andere äußere Einflüsse verarbeiten wir mit unserem Gehirn und den verbundenen Nervenzellen besser, als es jeder Computer kann. Daraus entwickeln wir dann in nachvollziehbaren Wahrnehmungsprozessen entsprechende Handlungsoptionen. Berühren und Fühlen gehören so unverzichtbar zum realen Leben dazu.

Schon im Mutterleib finden Sinneseindrücke statt, die später im Kindesalter besonders gelernt und entwickelt werden. Auch im wissenschaftlichen Diskurs wird immer wieder betont, wie wichtig der Tastsinn für die Entwicklung bei Kindern ist. Umso wichtiger ist auch die Auseinandersetzung mit physischen Medien. Foto: cottonbro/Pexels

Eine Geschichte der Haptik

Seit der industriellen Revolution in England vor mehr als 200 Jahren haben sich kluge Menschen mit der Sinneswahrnehmung beschäftigt und analoge Dinge entwickelt, von denen bis heute eine besondere Faszination ausgeht: Im 19. Jahrhundert begründete der britische Architekt und Künstler William Morris die „Arts and Crafts“-Bewegung – inspiriert von der Suche nach dem „Echten und Ehrlichen“ wurden die individuelle Handarbeit und das damit verbundene physische Erlebnis mit Ästhetik in den Fokus gerückt. In den USA wird später das „Good Design“ etabliert. Und in Europa zeigen Institutionen wie die Wiener Werkstätten, Bauhaus und die Hochschule für Gestaltung Ulm, dass Dingen nicht eine Funktion, sondern mit gutem Design eine sinnlich wahrnehmbare Qualität verliehen werden kann. Viele Unternehmen haben dies erkannt und verstehen, dass sie ihren Produkten eine haptische Wertigkeit und Ästhetik verleihen, die über den reinen Gebrauch hinausgehen. 

Das Buch als haptisches und sinnliches Erlebnis

Nehmen wir das analoge Medium Buch als Beispiel, so entsteht daraus eine ganz eigene Erlebniswelt: Das beginnt schon mit der Beschaffung, wenn man in einem konkreten Fall die Buchhandlung des Vertrauens aufsucht. Mit dem Griff ins Regal und dem Erleben des Mediums – Schrift, Typografie, Druck, Papierbeschaffenheit, Einband und letztendlich Geruch – entstehen Assoziationen, die die Wertigkeit des reinen Inhalts unterstreichen. Diese Sinneswahrnehmungen werden dann im Gehirn verarbeitet, die uns zu einer Entscheidung führen: „Dieses Buch möchte ich haben oder nicht.“ Ist eine Entscheidung dafür gefallen, verbringen wir in der Regel viel Zeit damit. Wir erleben das Medium in all seinen Facetten und in unterschiedlichen emotionalen Situationen. Die Wertschätzung wird meist durch den Verbleib im persönlichen Bücherregal unterstrichen. 

Während wir digitale Medien unterbewusst filtern und durch Wegklicken wieder ausblenden, treffen wir beim bedruckten Medium oftmals eine bewusste und nachhaltige Entscheidung. Das fängt beim Kauf im Laden an und reicht bis zum Einordnen ins Bücherregal. Fotos: Marvin Meyer/Unsplash, Mikhail Nilov/Pexels, Lina Lisitsya/Pexels, George Milton/Pexels

Selektive Wahrnehmung im Digitalen

Vergleichen wir nun eine alternative Rezeption via E-Book des gleichen Inhalts, so entfallen diverse Sinneswahrnehmungen: Ein Download auf ein aus Glas, Plastik und Metall ummanteltes Gerät findet in Sekunden statt. Der Inhalt lässt sich dann lediglich in zwei Dimensionen rezipieren. Es fehlen die entsprechenden Anreize, die dem Medium ursprünglich angedacht waren. Und dennoch haben sich nonverbale Botschaften stark ins Digitale auf den Bildschirm verlagert. Völlig entmaterialisiert, sprechen sie nur noch den Sehnerv an. Web, Apps, E-Mails, Posts oder Push-Messages – auf vielen Ebenen soll die Aufmerksamkeit auf Inhalte gerichtet werden. Der Mensch ist jedoch anpassungsfähig und schafft es in dieser neuen digitalen Umwelt, noch stärker zu selektieren. Visuelle Botschaften werden unterbewusst gescannt, auf ihre Relevanz geprüft und gegebenenfalls verdrängt. All das geschieht, bevor man sich überhaupt inhaltlich mit der Botschaft auseinandersetzt. Diese selektive Rezeption schützt vor Reizüberflutung und verhindert oft eine tiefere Auseinandersetzung mit Inhalten.

Ein Plädoyer für die Haptik

Umso wichtiger ist es, den anderen Sinnen mehr Wertschätzung und auch Gewichtung in der Wahrnehmung einzuräumen. In der Kommunikation spielt die Haptik nach wie vor eine gravierende Rolle. Und viele von uns halten tagtäglich auf Papier gedruckte Botschaften in ihren Händen. Daran wird sich auch angesichts der vielfältigen digitalen Angebote nicht so schnell etwas ändern. Ein hochwertiges Papier mit spezieller Oberfläche schafft Assoziationen und unterstützt die Botschaft, die auf ihm steht. Veredelungen des Papiers durch Formveränderung, Stanzung oder Prägung, einen mehrdimensionalen Aufdruck, spezielle Drucktechniken, eine kreative Falz können als Katalysator für eine höhere Aufmerksamkeit wirken. Der Inhalt wird so auch zum besonderen haptischen Erlebnis.

 

Titelbild: Perfecto Capucine/Pexels


Autor/-innen

Valerie Bachert

Valerie Bachert ist Journalistin, Chefin vom Dienst und Nachhaltigkeits-Beauftragte. Ihr Interesse gilt den Bereichen ökologischer Landbau, bewusster Konsum, Artensterben, soziale Ungerechtigkeit und nachhaltige Ernährung.

Beiträge von Valerie Bachert

Benjamin Seibring

Benjamin Seibring ist Redakteur für die Bereiche Lifestyle und Mobilität. Er interessiert sich zudem für Kulturthemen mit den Schwerpunkten Musik, Film und Medienanalyse.

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