
Papier von seiner schönsten Seite

09.03.2021 - Im Alltag schätzen wir Papier wegen seiner vielen guten Eigenschaften als treuen Begleiter. Wenn wir uns jedoch einmal ansehen, welche Kunstwerke Kreative diesem tollen Material zu entlocken vermögen, sind wir einfach erstaunt. Mit Kristine Braanen und Samantha Quinn, Gründerinnen des Paper Artist Collective, haben wir uns über Kunst aus Papier unterhalten. In diesem Beitrag gibt es außerdem besonders viel Schönes für Sie zu sehen.
Samantha war auf Reisen in Australien, als Kristine sie wegen eines Auftrags anschrieb, von dem sie meinte, er sei bei ihr besser aufgehoben. Die beiden waren über Instagram vernetzt, wie so viele Kunstschaffende es innerhalb ihrer vielfältigen Spezialgebiete sind. Das Spezialgebiet, das zuerst Kristine und Samantha und dann ihre Community zusammenbrachte, ist die Papierkunst. Als der Kontakt zwischen den beiden da war, fragte Kristine, ob Samantha nicht in das ursprüngliche Paper Artist Collective, damals noch eine Facebook-Gruppe, einsteigen wolle. Dort merkte sie schnell, dass Samantha ein besonderes Kaliber an Enthusiasmus und Energie ist – oder, in ihren eigenen Worten, „a super machine woman“. Die beiden stellten noch im selben Jahr – 2015 – das Paper Artist Collective auf die eigenen Beine: Ein virtuelles Zuhause für Papierkünstler:innen der ganzen Welt, wo sie sich über Papier, Werkzeuge, Techniken und Ideen austauschen, diskutieren, ihre Kunst zeigen und sich gegenseitig inspirieren können.


„Es sollte ein Ort sein, an dem wir uns in unserer eigenen kleinen Papierwelt gegenseitig helfen können. Von meinen damaligen Freundinnen und Freunden hatte keiner so richtig Interesse daran, über Textur oder dieses oder jenes Skalpell zu reden, deswegen war es toll, endlich diese Gruppe zu haben. Das Kollektiv hat sich seitdem sehr weiterentwickelt, aber ich denke, die Unterstützung, der Rat und das Netzwerk sind immer am wichtigsten geblieben. Das Sahnehäubchen sind die Freundschaften, die bei uns geschlossen werden. Viele unserer Künstler:innen haben sich im ,Real Life‘ getroffen“, erzählt Samantha.
Sie und Kristine haben es nach zwei Jahren auch geschafft, sich persönlich zu treffen – nicht ganz unkompliziert als Leiterinnen eines Kunst-Kollektivs neben Vollzeitjobs und Familien, gerade wenn die eine in Oslo, die andere in London lebt. Weil sie zuvor wöchentlich, manchmal täglich Kontakt hatten, fühlte sich das Treffen ganz natürlich an. „Wir kennen uns sehr gut und respektieren einander, als Künstlerinnen und als Menschen. Es ist auf jeden Fall auch eine Freundschaft fürs Leben“, so Kristine.




Die Anzahl der Mitglieder ist auf 100 begrenzt, die Mitgliedschaft erfolgt nur auf Einladung. Das hat nichts mit Elitismus zu tun, sondern damit, dass Samantha und Kristine eine Grenze gezogen haben, mithilfe derer das Kollektiv gerade noch überschaubar und persönlich bleibt. Bei 100 Künstler:innen erkennen sie die Arbeit und den Stil jedes Mitglieds wieder. Neben dem hohen Niveau der Arbeiten ist ihnen bei der Aufnahme neuer Mitglieder auch wichtig, dass sie gut in die Community passen. Denn die ist offen, freundlich, solidarisch und hat keinen Platz für große Egos. Nachdem es nun auch zunehmend schwierig wird, die gesamte Organisation zu zweit zu bewältigen, helfen seit Kurzem auch andere Mitglieder aus – und das funktioniert. Dass Kristine und Samantha als Frauen die Führung im Kollektiv innehaben, ist für sie und die Community übrigens nichts Ungewöhnliches, sondern ganz normal – sie wünschten aber, das wäre für alle Menschen so selbstverständlich.
Etwas Besonderes ist es hingegen immer, wenn sie die Community für Kollaborationsprojekte zusammentrommeln: Für diese werden sie manchmal von Unternehmen angefragt, manchmal gehen sie selbst auf Unternehmen zu. Dann einigen sie sich auf ein Kreativ-Briefing und veröffentlichen dieses als Challenge auf ihrer Seite. Von den Mitgliedern, die mitmachen wollen, wählen sie 15 aus, die die Aufgaben auf ihre eigene Art interpretieren und lösen. Die Arbeiten, die dabei entstehen, finden sie jedes Mal aufs Neue überraschend und sind begeistert, wie Menschen, die über die ganze Welt verstreut sind, dieselbe Aufgabe mit demselben Material so unterschiedlich lösen können. Diese speziellen Projekte machen dem Paper Artist Collective viel Freude, und die Ergebnisse sind bemerkenswert.


Wie alle Künstlerinnen, deren Arbeiten Sie in diesem Beitrag sehen können, haben wir natürlich auch Kristine und Samantha gefragt: Wieso eigentlich Papier? Was gefällt ihnen so gut daran?„Mit Papier hat man unendliche Möglichkeiten, es ist so vielseitig – und trotzdem erschwinglich. Mir gefällt die riesige Auswahl an Gewichten, Texturen und Farben. Es ist auch wunderbar, mit einem nachhaltigen Material zu arbeiten – die Kundinnen und Kunden wünschen sich das und beauftragen mich deshalb. Den Zitronenbaum, den Papagei und die Mülleimer, die in diesem Beitrag zu sehen sind, hat ein bekanntes Kaufhaus in London in Auftrag gegeben, für das Nachhaltigkeit zu den Grundwerten gehört“, antwortet Samantha.
„Das ist auch für Samantha und mich persönlich ein wichtiges Thema“, ergänzt Kristine. „Wir werfen Reste nicht weg, es gibt immer etwas, das man noch mit ihnen machen kann – wenn wir etwas wirklich nicht mehr verwenden können, wird es recycelt. Wir haben ein Bewusstsein dafür, welches Papier wir kaufen und wie viel. Ich schätze Papier im Übrigen ebenfalls dafür, dass es simpel und günstig ist – und man trotzdem alles damit machen kann. Als ich anfing, hatte ich großen Spaß daran, all die verschiedenen Papiere zu entdecken, ich hatte keine Ahnung, dass es so viel gibt. Für mich hat die Arbeit mit Papier aber auch einen starken meditativen Aspekt, es hilft mir, mich zu entspannen. Ich mag es, dass sich Papier wie ein ruhiges Medium anfühlt.“
Im Online-Shop des Paper Artist Collective wird im Moment leider nichts angeboten, doch man munkelt, sie würden gerade an einem Charity-Kalender für 2022 arbeiten, und dass er fabelhaft werden und ab Juni erhältlich sein wird. Der Erlös wird für einen guten Zweck gespendet. Möglicherweise werden sie in Zukunft auch ihre beliebten Scherenschnitt-Sets für Anfänger:innen wieder anbieten, das wissen sie noch nicht genau. Aber vielleicht möchten Sie es dann auch einmal mit meditativem Scherenschnitt versuchen, nachdem Sie nun gesehen haben, was mit Papier alles möglich ist?
Titelbild: „Paper Leaves“, Art Direction sowie Paper Art & Set Design von Raya Sader Bujana @littlerayofsunflower, Foto von Leo García Méndez