Innovation & Technologie, Ökologie & Gesellschaft

Innovative Nachhaltigkeitsprojekte in Europa

Bushaltestellen müssen nicht karg und trostlos, sondern können sogar essbar sein. Fotos: Lina Kivaka/Pexels, Taryn Elliott/Pexels

24.10.2023 – Urban-Gardening-Projekte wie der hier abgebildete „Bosco Verticale“ in Mailand stehen stellvertretend für kreative Nachhaltigkeits-Unternehmungen in Europa. Von „essbaren Bushaltestellen“ in London bis zur Nutzung der Körperwärme im Stockholmer Hauptbahnhof besuchen wir solche europäischen Umweltaktivitäten mit Oha-Effekt. 

Viele Städte und Gemeinden, aber auch die Bürgerinnen und Bürger selbst unternehmen auf unserem Kontinent Anstrengungen, um die Umwelt zu schützen, Ressourcen zu schonen und den CO2-Ausstoß zu reduzieren. In diesem Artikel stellen wir einige herausragende Nachhaltigkeitsprojekte vor, die uns durch ihren kreativen Ansatz überrascht haben.

Essbare Bushaltestellen in London

Beginnen wir unsere Reise in der britischen Hauptstadt mit der Umsetzung einer ungewöhnlichen, aber gar nicht so komplizierten Idee: Hier verwandelt das Projekt „The Edible Bus Stop“ triste Bushaltestellen in kleine Oasen der Nachhaltigkeit. Die Grünflächen, die sich oft – aber nicht ausschließlich – rund um die Haltestellen befinden, werden mit Gemüse und anderen meist essbaren Pflanzen bestückt, die nicht nur die Luftqualität verbessern, sondern auch von den Anwohnerinnen und Anwohnern „geerntet“ werden können. Diese grünen Inseln tragen dazu bei, das Stadtbild aufzuwerten und das Bewusstsein für die Natur und eine nachhaltige Lebensweise zu schärfen. Oft werden die kleinen Biotope nach der Erstbepflanzung durch die Projektgärtner von den Anwohnerinnen und Anwohnern übernommen, die sie fortan pflegen, neu säen, frisch bepflanzen und weitere Ernten ermöglichen. 
Nicht nur in London engagieren sich Menschen für den Schutz der Umwelt. In der Grafschaft Cornwall wird eine Gruppe Wassersportler aktiv, die ein besonders enges Verhältnis zu den Meeren und deren Bewohnern pflegt.

Cornwall ist mit einigen der schönsten Strände der britischen Inseln gesegnet. Eine Gruppe Surfer will dafür sorgen, dass es auch so bleibt. Foto: Nathan Dumlao/Unsplash

Surfers Against Sewage: Einsatz für saubere Strände in Cornwall

Die britische Organisation Surfers Against Sewage setzt sich für den Schutz der Meere ein. Durch regelmäßige Strandsäuberungen an den wunderschönen Küstenabschnitten Cornwalls und Aufklärungsarbeit bei Einheimischen und Touristen wird das Bewusstsein für Meeresverschmutzung und Plastikmüll geschärft. Die Initiative will zeigen, dass jeder Einzelne einen Beitrag zum Umweltschutz leisten kann – sei es durch aktive Teilnahme oder durch das Teilen von Wissen und Erfahrungen. Aber die Surfer aus Cornwall bringen ihre Botschaft besonders cool und lässig rüber, was ihnen Unterstützung und Zulauf von anderen jungen Surfern, Seglern und Strandfans bringt.

Von Cornwall aus geht es weiter in die Niederlande, wo einige bemerkenswerte Projekte durchgeführt wurden.

Eine Fahrradtour zum Umweltprojekt De Ceuvel bietet Anschauungsunterricht zum Thema gelebte Nachhaltigkeit im urbanen Umfeld. Fotos: Javon Swaby/Pexels, Superbass/Wikimedia Commons (CC BY-SA-4.0)

Grüne Dächer in Utrecht

Wie schon in London stehen auch in der niederländischen Stadt Utrecht Bushaltestellen im Mittelpunkt der Nachhaltigkeitsaktivitäten. Hier begrünte die Gemeinde jedoch ausschließlich die Dächer der Wartehäuschen. Seit 2019 wurden mehr als 300 Bushaltestellen mit Sedumpflanzen verschönert, was zur Verbesserung der Luftqualität beiträgt, denn die robusten und dekorativen Pflanzenüberlebenskünstler binden Feinstaub und absorbieren CO2. Darüber hinaus bieten die begrünten Dächer Lebensraum für Insekten wie Bienen oder Schmetterlinge und tragen zur Regenwasserrückhaltung bei. Das bei den Bewohnern von Utrecht beliebte Projekt stellt einen Teil der Bemühungen der Stadt dar, die urbane Umwelt zu verbessern und zu verschönern sowie den Klimawandel zu bekämpfen. 

Straßen aus recyceltem Plastik in Zwolle

Ebenfalls in den Niederlanden wurde in der Stadt Zwolle ein Pilotprojekt gestartet, das den Straßenbau revolutionieren könnte. Dort wurden Straßen aus recyceltem Kunststoff verlegt. Diese sogenannten PlasticRoads sind wesentlich haltbarer und wartungsärmer als herkömmliche Straßen und tragen zur Reduzierung von Plastikmüll bei (der als recycelter Werkstoff verarbeitet wird). Darüber hinaus lassen sich die Plastikbeläge innerhalb weniger Tage relativ geräuscharm verlegen und ermöglichen eine schnelle Ableitung von Regenwasser, was bei geschlossenen Asphaltflächen oft ein Problem darstellt. Mit diesem Projekt wollen die Verantwortlichen nicht nur eine neue Technologie erproben, sondern auch zeigen, dass Recycling und Innovation Hand in Hand gehen können, um die Umweltbelastung zu reduzieren.

Nur wenige Pariser haben einen eigenen Garten. „Les Jardins du Ruisseau“ sollen Jung und Alt die Möglichkeit geben, selbst Pflanzen zu hegen und zu pflegen. Fotos: Cottonbro Studio/Pexels, Olena Bohovyk/Pexels

Ein nachhaltiges Stadtviertel in Amsterdam

In Amsterdam entsteht seit 2014 ein ganz besonderes Stadtviertel: De Ceuvel. Auf dem kontaminierten Gelände einer ehemaligen Schiffswerft wurde ein komplett nachhaltiges Quartier entwickelt, das auf erneuerbare Energien und recycelte Materialien setzt. Auf Sockeln installierte Hausboote bieten Raum für Unternehmen und Initiativen aus den Bereichen Kultur- und Kreativwirtschaft sowie Umweltorganisationen. Die Boote wurden zu Büros, Ateliers und Arbeitsräumen umgebaut. Dabei setzten die Architekten, Landschaftsplaner und Experten für Nachhaltigkeit auf preiswerte Lösungen zum Umgang mit der besonderen Ausgangslage: Solarheizungen, -klimaanlagen oder Komposttoiletten kamen ebenso zum Einsatz wie die Filterung und Nutzung von Regenwasser sowie eine pflanzenbasierte Abwasserreinigung. Nach Angaben der Betreiber liege der Wasserverbrauch um 75 Prozent niedriger als bei einer konventionellen Gewerbefläche dieser Größe. Auch bei der Entgiftung des kontaminierten Untergrunds setzt De Ceuvel auf Pflanzen. Diese werden gezielt als Hyperakkumulatoren platziert, um dem Boden giftige Metalle zu entziehen. Allerdings müssen sie einmal jährlich abgeerntet, entsorgt und neu angepflanzt werden. Die Planer haben es sich außerdem zum Ziel gesetzt, dass De Ceuvel sich per Rad oder zu Fuß erreichen lässt, Autoverkehr soll weitgehend vermieden werden. Die Vision von De Ceuvel zeigt Nachhaltigkeit im städtischen Umfeld. Gleichzeitig wird deutlich, dass auch kleinere Projekte einen großen Beitrag zur Verbesserung der Lebensqualität leisten und Stadtplanern Inspirationen liefern können. Dies gilt ebenso für das Pariser Projekt „Les Jardins du Ruisseau“.

Urban Gardening als Pariser Sozialprojekt

In der französischen Hauptstadt hat man sich in mehreren Projekten dem Thema Urban Gardening verschrieben. Eines der bekanntesten ist „Les Jardins du Ruisseau“, bei dem ein stillgelegtes Bahngleis in einen Gemeinschaftsgarten verwandelt wurde. Hier können Anwohner gemeinsam gärtnern, ihre Umgebung verschönern und gleichzeitig einen Beitrag zum Umweltschutz leisten. Auch mehrere Bienenvölker haben dort bereits ihr Zuhause gefunden. Die Gärten sollen als soziales Projekt zudem einen Ort des Zusammenlebens und des Austausches bieten, an dem das ganze Jahr über pädagogische, kulturelle und künstlerische Aktivitäten stattfinden. Sie sind auch Teil des Projekts, die Jugend des Viertels und die Schülerinnen und Schüler der benachbarten Lehranstalten durch die Gartenarbeit für die Natur und den Umweltschutz zu begeistern.

Weiter geht es nach Slowenien, wo in der Hauptstadt Ljubljana smarte Technologien und das Engagement der Bürger zusammenwirken.

Chipkarten unterstützen die Müllentsorgung in Ljubljana

Mit der Müllverwertungsanlage RCERO zeigt Ljubljana, dass innovative Technologien und Abfallmanagement Hand in Hand gehen können. Die Anlage ist eine der größten und effizientesten in Europa. 98 Prozent des generierten Abfalls werden wiederverwendet, um neue Objekte herzustellen, Rohstoffe zu gewinnen, Kompost zu erzeugen oder Energie zu produzieren. Ein besonderer Erfolgsfaktor des Waste Management ist dabei die intensive Einbindung der Verbraucherinnen und Verbraucher und somit Müllentsorger in den Trennungsprozess, bei dem unter anderem individualisierte Chipkarten zum Einsatz kommen. Jeder Haushalt erhält eine solche Karte, die den Zugang zu Restmüll- und Recycling-Containern ermöglicht. Das System hat mehrere Vorteile: Zum einen wird die Mülltrennung gefördert, da für jede Art von Abfall ein eigener (teilweise unterirdisch verbauter) Container zur Verfügung steht. Zum anderen zahlen die Bürgerinnen und Bürger nur für die tatsächlich entsorgte Menge an Müll. Dadurch wird das Bewusstsein für den eigenen Müllverbrauch gestärkt, und es entsteht ein Anreiz, Müll zu vermeiden oder zu reduzieren. Außerdem trägt das System dazu bei, illegaler oder fehlerhafter Müllentsorgung entgegenzuwirken. Da die Chipkarten personalisiert sind, kann nachvollzogen werden, wer den Müll in welchem Container entsorgt hat, und die Kartenbesitzer erhalten gezielte Hinweise über etwaige Missgeschicke. Das elektronische Müllentsorgungssystem in Ljubljana hat sich als äußerst wirkungsvoll erwiesen und wird nach anfänglicher Abwehrhaltung und einem mehrjährigen Eingewöhnungsprozess von den Bürgerinnen und Bürgern als extrem positiv empfunden. Die Bewohner Ljubljanas können sich heute nicht mehr vorstellen, ihren Müll einfach gedankenlos und ungetrennt zu entsorgen und treten europaweit als Botschafter für smartes Waste Management auf. 
Übrigens wird die Abgabe des Biomülls auf Mallorca in ähnlicher Weise organisiert. Die Stadt Palma de Mallorca hat im Rahmen eines Pilotprojekts Container für Biomüll aufgestellt, für deren Benutzung sich Anwohnerinnen und Anwohner durch das Benutzen der Tarjeta Ciudadana identifizieren müssen. Diese mit einem Chip ausgestattete „Bürgerkarte“ dient sonst vor allem zur Nutzung des öffentlichen Nahverkehrs. 

Zum Abschluss unserer Reise besuchen wir Schweden, wo in Stockholm ein innovatives Projekt zur Energiegewinnung umgesetzt wurde und die Bürger sich in einer weiteren Initiative gleichzeitig fit halten und etwas für die Umwelt tun.

Heizen mit Körperwärme in Stockholm

In Stockholm wird die Körperwärme der täglich 250.000 Reisenden im Hauptbahnhof genutzt, um ein nahe gelegenes Gebäude zu beheizen. Es handelt sich um das 13-stöckige und 27.000 Quadratmeter große Bürogebäude Kungsbrohuset, das sich unmittelbar neben dem Stockholmer Hauptbahnhof befindet. Die mit der Körperwärme aufgewärmte Luft der Bahnhofshallen wird mit Wärmetauschern aufgefangen und in großen unterirdischen Wassertanks gespeichert. Das so erwärmte Wasser fließt anschließend ins Heizsystem des 100 Meter entfernten Bürogebäudes und hilft auf diese Weise, circa ein Fünftel der Heizkosten zu sparen, vor allem aber den CO2-Ausstoß zu reduzieren.
Auch wenn es nicht in Europa liegt, sollte hier erwähnt werden, dass Amerikas größtes Einkaufszentrum, die Mall of America in Minneapolis, ein ähnliches Verfahren nutzt. Dort entstehen dank der Wärmeabgabe der Besucher selbst bei den kalten Temperaturen im winterlichen Minnesota angenehme Shopping-Temperaturen.

Doch zurück nach Schweden, wo eine besondere Form des Joggings entstanden ist, die Umweltschutz und Fitness miteinander verbindet.

Plogging: Müll-Marathon in Stockholm

In der schwedischen Hauptstadt hat sich eine ungewöhnliche Sportart entwickelt: das Plogging. Das Wort setzt sich aus dem schwedischen „plocka“ (aufsammeln) und „Jogging“ zusammen. Bei dieser Variante des klassischen Joggings bleiben die Läuferinnen und Läufer stehen, wenn sie Abfall auf ihrem Weg sehen, und sammeln ihn auf. Am Ende ihrer Lauftour wird der eingesammelte Müll ordentlich in dafür gekennzeichneten Mülleimern entsorgt. Vor dem Wegwerfen machen viele Plogger noch ein Foto von ihrer „Beute“ und posten es auf Instagram oder auf anderen Social-Media-Kanälen. Bekannt wurde der Fitnesstrend durch den Umweltaktivisten Erik Ahlström. Ihm fiel der überall herumliegende Müll im malerischen Stockholm negativ auf, sodass er einige Mitstreiter mobilisierte, die sich ebenfalls über den Abfall ärgerten. Ahlstrom organisierte Joggingtouren mit Handschuhen und Müllsäcken, und die Plogger schritten erstmals zur Tat. Mit der Zeit schlossen sich immer mehr Aktive der Bewegung an. Es entstanden erste kleine Wettbewerbe, bei denen es um gesammelte Müllmengen ging. Wenig später ging die erste Plogging-Website live, und viele Läuferinnen und Läufer integrierten regelmäßige Einheiten Plogging fest in ihren Trainingsplan.

All diese Projekte verdeutlichen, dass kreative Lösungen und Innovationen im Bereich der Nachhaltigkeit in ganz Europa zu finden sind. Sie sollten uns dazu ermutigen und inspirieren, weiterhin nach neuen Wegen zu suchen, um unsere Städte und Gemeinden grüner, sauberer und lebenswerter zu gestalten und selbst aktiv zu werden – vielleicht sogar als Plogger?


Titelbild: Babak Habibi/Unsplash


Autor/-in

Jan Strahl

Jan Strahl hat seit seinem Redaktionsvolontariat in Hamburg für nahezu alle großen und kleinen Verlage der Stadt als Journalist, Redakteur oder Autor gearbeitet. Er schreibt für Publikumsmedien und Corporate Publishing Publikationen über Kunst, Fashion, Lifestyle oder Wissensthemen.

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