Papierwelten

Eine Erfolgsstory ohne Ende

Schon lange bevor das Papier erfunden wurde, fanden die Menschen Oberflächen, um ihre Botschaften zu hinterlassen. Dazu zählten in vorgeschichtlicher Zeit Höhlenwände (hier Lascaux, Frankreich) oder Vorläufer des Papiers, die zum Beispiel aus Baumrinde hergestellt wurden. Fotos: Toshihiko Tanaka/Pexels, Engin Akyurt/Pexels

07.02.2023 – Ohne Papier – da sind sich die Historiker einig – wäre unsere Geschichte anders verlaufen. Als mobiler Träger von Wissen und Informationen über Jahrhunderte sowie als zentrale Komponente für die ersten Massenmedien trug es zur Bildung und Aufklärung und somit maßgeblich zum Fortschritt der Menschheit bei. Der Buchdruck wird zu Recht als Jahrtausenderfindung gewürdigt – aber was wären die beweglichen Lettern ohne Papier, auf das sich die Buchstaben drucken ließen? 

Vorläufer des Papiers

Seit jeher ist es ein essenzieller Wunsch des Homo sapiens, für die Mitmenschen oder die Nachwelt wichtige Botschaften, Informationen oder Geschichten festzuhalten und somit von der zweifelhaften Leistung unseres Gedächtnisses zu entkoppeln. Bereits vor über 40.000 Jahren hielten unsere Vorfahren Bilder, Zeichen oder ihre Handabdrücke zu diesem Zweck an Höhlenwänden fest. So zuverlässig und haltbar dieses „Medium Felswand“ sich uns zum Beispiel in der Höhle von Lascaux in Frankreich heute noch präsentiert, war es doch gerade für nomadisch lebende Jäger und Sammler ziemlich unbeweglich und unpraktisch. Deshalb gingen schon die vor- und frühgeschichtlichen Menschen dazu über, ihre Schriftzeichen in Knochen, Muscheln, Holz oder (Mammut-)Elfenbein zu ritzen. In den frühen Hochkulturen kam das aus Tierhaut hergestellte Pergament hinzu, das in Zentraleuropa bis ins Hochmittelalter seine Spitzenposition als meistgenutzter Schriftträger behauptete. 

Andernorts nutzen die Menschen dafür bereits Pflanzenfasern, allerdings wurden diese noch nicht gänzlich zermahlen, sondern als großflächige Stücke oder Streifen verwendet. So auch beim aus Ägypten stammenden Papyrus, von dem über 5.000 Jahre alte Fragmente in Pharaonengräbern gefunden wurden. Die Stängel des an den Nilufern üppig wachsenden Schilfgrases ließen sich zu einem Schreibmaterial verarbeiten, indem sie streifenweise übereinanderliegend getrocknet und auf einem Brett durch Druck zu einer blattähnlichen Faserfläche verbunden wurden. Eine wichtige Rolle spielte dabei der leimartige pflanzeneigene Saft. Mehrere dieser Blätter wurden anschließend zu einer Papyrusrolle verklebt – für viele Jahrhunderte das bevorzugte Speichermedium Nordafrikas und des Nahen Ostens. Andere Kulturen in Zentralafrika, Polynesien oder Mittelamerika kamen mit ähnlichen Ansätzen, teilweise unter Verwendung von Baumrinden, ebenfalls zu brauchbaren Ergebnissen.

 

Über die Jahrhunderte variierten die Rezepturen und Zutaten für die Papierherstellung. So wurden die Fasern von Pflanzen (zum Beispiel Papyrus) ebenso genutzt wie ausgediente Fischernetze in China. Fotos: Aubrey Miller/Pexels, Natalya Rostun/Pexels

Erfindung in China vor 2.000 Jahren

Der wesentliche Unterschied zwischen diesen Vorläufern und dem, was wir heute als Papier definieren, ist das Fehlen eines entscheidenden Prozessschrittes während der Herstellung. Bei dem Fertigungsverfahren von Papier werden Pflanzenfasern komplett zerkleinert und mit Wasser zu einem zähen Brei verarbeitet. Anschließend wird der Masse mit einem Sieb wieder das Wasser entzogen. Beim Trocknen der zur dünnen Schicht verriebenen Substanz verbinden, verfilzen und verkleben sich die Fasern zu einem glatten Material, das hervorragend Farben und Tinte aufnimmt, sich falten, schneiden oder reißen lässt.

Das älteste auf diese Weise hergestellte Papier wurde in China gefunden und wird auf die Dynastie der Frühen Han (207 v. Chr. bis 9 n. Chr.) datiert. Als Erfinder des Papiers und des modernen Papierherstellungsprozesses gilt allerdings ein Beamter am Hofe des Kaisers von China namens Tsai Lun (Schreibweise auch Cai Lun), der das Herstellungsverfahren erstmals 105 n. Chr. schriftlich niederlegte. Ob der Würdenträger diesen Prozess, bei dem ein Gemisch aus Seiden- und Hanfresten, alten Fischernetzen und Fasern des Maulbeerbaums zum Papierbrei verkocht wurde, wirklich erdachte oder nur erstmals dokumentierte, bleibt allerdings unklar.

 

Mit der Industrialisierung begann auch die Massenproduktion des Papiers. Über Rollen ließen sich maschinell große Papierbahnen fertigen und später wieder in einzelne Bögen schneiden. Fotos: Florian Thoss für Steinbeis Papier

Der lange Weg nach Europa

Fest steht jedoch, dass die Chinesen das Geheimnis für die Herstellungsweise von Papier über mehrere Jahrhunderte bewahren und verbergen konnten, bevor es im 6. Jahrhundert nach Japan gelangte und sich weiter im Fernen Osten verbreitete. Bis Europa erstmals mit dem Verfahren in Berührung kam, dauerte es sogar noch länger. Zunächst eigneten sich die Araber die geheime Technik an, indem sie chinesische Papiermacher im Jahr 751 n. Chr. entführten und zwangen, das Verfahren in einer Papiermanufaktur bei Samarkand zu etablieren. Neben der (heute) usbekischen Stadt wurden auch Bagdad und Damaskus Hochburgen der arabischen Papierproduktion. Grund dafür war das reichliche Vorkommen von Hanf und Leinen in dieser Region, womit sich die ursprüngliche chinesische Rezeptur weiter verfeinern ließ. 

Mit dem Eroberungsfeldzug der Mauren in Sizilien, Portugal und Spanien gelangte Papier ab dem 11. Jahrhundert schließlich auch nach Europa. Erstmals erwähnt wird die Herstellung auf europäischem Boden für das Jahr 1144 in Xativa bei Valencia, wo auch die erste europäische Papiermühle belegt ist. Den Vorzug gaben die europäischen Adeligen aber weiterhin dem Pergament, wie ein Erlass Friedrich II. von 1221 beweist. Der Stauferkaiser verbietet dort die Verwendung von Papier für öffentliche Urkunden. Grund war wohl der damalige Auftrag einer Schicht Reisstärke zur Veredelung der Blätter, die sich wiederum als Leckerbissen für Insekten entpuppte und so die Lebensdauer der Dokumente drastisch verkürzte. Erst den findigen Papiermachern in der italienischen Stadt Fabriano gelang es, diesen Makel abzustellen, indem sie statt der Stärke tierische Gelatine verwendeten und den Insektenfraß eindämmten. Außerdem führten diese mittelalterlichen Innovationstreiber Papiere mit Wasserzeichen ein und optimierten die Zerkleinerungstechnik im Herstellungsprozess durch den Einsatz hydraulischer Hämmer. Mittlerweile wurden als textiler Zusatz der Papierbreimischung keine Fischernetze oder Seidenreste mehr verwendet, sondern ausgesonderte Kleidungsstücke, die von Lumpensammlern zusammengetragen und in die Manufakturen geliefert wurden. Diese teils sehr robusten Stoffe ließen sich in den Papiermühlen mit den bisher üblichen Mahlsteinen kaum noch zerkleinern, die Hammerhydraulik ermöglichte eine mechanisierte Optimierung des Zermalmungsprozesses.

Vom Handwerk zur industriellen Herstellung

Mit der Erfindung des Buchdrucks durch Johannes Gutenberg um 1440 und der damit verbundenen Möglichkeit, Bücher in großer Stückzahl anzufertigen, stieg auch die Nachfrage nach Papier. Dennoch blieb das Angebot limitiert, da die Kunst der Papierherstellung bis ins 19. Jahrhundert, zumindest was den finalen Schöpfvorgang betrifft, nur mit reiner Handarbeit möglich war. Bis der Franzose Nicholas-Louis Robert 1798 dieses Problem mit einer Langsieb-Papiermaschine löste, die statt einzelner Blätter ganze Bahnen produzieren konnte, und diese Technologie von den Engländern Bryan Donkin sowie Henry und Sealy Fourdrinier zur „Fourdrinier-Maschine“ weiter verfeinert wurde. Zum Engpass kam es nun nicht mehr im Produktionsprozess, sondern bei den Rohstoffen. So konnten die Lumpensammler gar nicht so viele Altkleider zusammentragen, wie die neuen Papierfabriken verarbeiten wollten – ein neuer Papierrohstoff musste her. 

Der Durchbruch gelang einem sächsischen Weber namens Friedrich Gottlob Keller, der sich von Wespen inspirieren ließ, die für ihren Nestbau Holzfasern mit Speichel mischten und so eine interessante pappartige Substanz erzeugten. Im Jahr 1843 verwendete Keller erstmals geschliffenes Holz als Basis für seine Papierbrei-Rezeptur. Anfangsprobleme wie schnelles Vergilben und hohe Brüchigkeit des gewonnenen Papiers konnten anschließend englische Chemiker mit ihrer Ergänzung der Vorgehensweise Kellers beheben. Unter hohem Druck gekocht und mit bestimmten Zusätzen wie Natron oder Soda versetzt, ließ sich aus dem Holzschliff die Zellulose isolieren, der Hauptbestandteil pflanzlicher Zellen. Dieser Zellstoff diente fortan (neben Wasser) als alleinige Zutat für die Papierherstellung, und Bäume etablierten sich entsprechend als deren einziger Rohstofflieferant. Die Preise des begehrten Werkstoffs fielen rasant, und Papier wurde ein Produkt des täglichen Bedarfs für Zeitungen, aber auch als Verpackung oder Toilettenpapier.

 

Bereits im 18. Jahrhundert entstand die Idee, benutztes Papier erneut zu verwerten. Aber erst seit den 1950er-Jahren wird dieses Konzept auch industriell genutzt. Mittlerweile ist Recyclingpapier auch mit den höchsten Weißgraden herstellbar und in seiner Qualität nicht von Frischfaserprodukten zu unterscheiden. Fotos: Florian Thoss für Steinbeis Papier

Papier aus Papier

Allein in England stieg die Papierproduktion zwischen 1860 und 1900 um fast 700 Prozent, und in der Mitte des 20. Jahrhunderts kam die Frage nach Rohstoff- und Ressourceneinsatz bei der Papierproduktion wieder auf die Agenda. Die Umweltbewegung, die parallel zum wirtschaftlichen Aufstieg der Industrienationen wuchs und an Einfluss gewann, stellte nachdrücklich die Frage, ob es für Abholzung und hohen Wasserverbrauch keine Alternativen gäbe. Dabei war der Lösungsansatz für diese Herausforderung, das sogenannte Deinking-Verfahren, bereits 1774 von Justus Claproth und Johann Engelhard Schmid entwickelt worden. Mittels mechanischer Prozesse und unter Zuhilfenahme bestimmter Chemikalien war es den beiden gelungen, bedrucktes Altpapier wieder in einen Rohstoffbrei zu verwandeln und von der genutzten Druckerschwärze zu trennen. Ein wirklich praktikables Ergebnis für die Massenfertigung von beschreibbarem Papier mit entsprechendem Weißgrad aus Altpapier gelang allerdings erst in den 1950er-Jahren.

 

Bereits 1976/77, noch in einer Pionierphase der Verwertung von Altpapier, entschied sich Steinbeis, mit dem Werk in Glückstadt auf 100 Prozent Recyclingpapier umzustellen und den Fertigungsprozess sukzessive (vollbiologische Abwasserkläranlage, Kraftwerk mit Wirbelschichttechnologie und Kraft-Wärme-Kopplung) immer nachhaltiger zu gestalten. Mit den bekannten Erfolgen: Recyclingpapiere von Steinbeis benötigen bei der Produktion von einem Karton DIN-A4-Papier (2.500 Blatt) fast 27 kg weniger Holz (nämlich keins), circa 500 Liter weniger Wasser und fast 120 kWh weniger Energie, als die Produktion von Frischfaserpapier für die gleiche Menge aufwenden muss. Bei einer Jahresproduktion von mehr als 300.000 Tonnen Papier, wie Steinbeis sie in Glückstadt leistet, kommt dabei einiges zusammen.  

Das Papier hat bereits eine lange Erfolgsstory hinter sich, und das Kapitel über Recyclingpapier könnte als schönes Happy End stehen, doch die Geschichte des Papiers hat auch im Digitalzeitalter noch längst nicht seinen Schlusspunkt erreicht. So wird bereits daran getüftelt, weitere Abfallprodukte aus Landwirtschaft oder Haushalt als Rohstoffe zur Papierherstellung einzusetzen. Auch das Zusammenwachsen und -wirken von Papier und digitaler Welt sind keine Zukunftsmusik mehr. QR-Codes, Augmented Reality und in Papierprodukten verbaute Chips waren da erst der Anfang. Freuen wir uns also auf die nächsten 2.000 Jahre und die Zukunft des Papiers. 

 


Titelbild: Florian Thoss für Steinbeis Papier

 


Autor/-in

Jan Strahl

Jan Strahl hat seit seinem Redaktionsvolontariat in Hamburg für nahezu alle großen und kleinen Verlage der Stadt als Journalist, Redakteur oder Autor gearbeitet. Er schreibt für Publikumsmedien und Corporate Publishing Publikationen über Kunst, Fashion, Lifestyle oder Wissensthemen.

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