Innovation & Technologie

Das E-Bike auf der Überholspur

Das Klapp-E-Bike ist eine beliebte Variante bei Berufspendlerinnen und -pendlern. Die Mitnahme im Zug ist kostenlos, da dieses im gefalteten Zustand als Gepäckstück definiert wird. Fotos: Mike Von/Unsplash, Himiway Bikes/Unsplash

05.07.2022 - Ob in der Stadt oder auf dem Land, im Urlaub oder im Berufsverkehr – das E-Bike ist von deutschen Straßen und Fahrradwegen nicht mehr wegzudenken. Diese Art der Fortbewegung ist für Jung und Alt nicht nur praktisch, sondern gibt auch ein gutes Gefühl, nachhaltig zu handeln. Der renommierte Fahrradexperte Marcus Degen setzt sich mit seinem Online-Magazin „Velomotion“ täglich mit Zweirad-Themen auseinander. Er verrät im Interview, was hinter dem E-Bike-Trend steckt, wie nachhaltig es ist und ob das elektrifizierte Fahrrad einen Paradigmenwechsel für unsere Mobilität bedeutet. 

 

Was macht die Faszination E-Bike aus?

Das liegt auf der Hand: Es macht einfach Spaß. Ich schreibe seit 15 Jahren über E-Bikes, und ich konnte oft erleben, wie Leute zum ersten Mal auf einem E-Bike saßen. Alle stiegen mit einem Grinsen im Gesicht und einem Wow-Gefühl wieder ab. 

Und spiegelt sich dieses Wow-Gefühl auch in der Akzeptanz wider?

Unser Büro ist ja auf dem Land im Bayerischen Wald, hier auf dem Dorf hat man 100 Jahre kaum jemanden auf einem Fahrrad gesehen. Nicht zum Supermarkt, nicht zur Schule und nicht zur Arbeit. Aber die letzten Jahre – natürlich verstärkt durch Corona – sehe ich plötzlich jede Menge Leute auf E-Bikes herumfahren, weil es einfach geht.

Welche Arten von E-Bikes gibt es?

Alles, was es an Fahrrädern gibt, kann man auch als E-Bikes erwerben – vom Mountainbike über das Trekkingrad bis hin zum Cityrad. Sogar die sportlicheren Segmente wie Rennräder sind elektrifiziert erhältlich. Aber das sind schon wirklich Nischen. Da stellt sich dann auch die Sinnfrage, denn auf gerader Strecke fährt jeder Rennradfahrer schneller als die zugelassenen 25 Kilometer pro Stunde für E-Bikes. Kinderräder gehen bei 24 Zoll los. Wenn Mama und Papa E-Bike fahren, müsste das zehnjährige Kind beim Wochenendausflug mit einem konventionellen Fahrrad ganz schön strampeln.

Sportliche Modelle und Citybikes mit elektrifiziertem Antrieb bieten eine ideale Mobilitätsalternative auch in der Stadt. Fotos: Himiway Bikes/Unsplash, Heybike/Unsplash

Wird das E-Bike das Auto, den Bus und andere Mobilitätslösungen ersetzen?

Mit dem Ersetzen ist das so eine Sache. Das E-Bike ist ganz klar ein Luxusprodukt, das man zusätzlich in der Garage stehen hat. Ich bezweifle, dass es das Auto und andere Fortbewegungsmöglichkeiten ersetzt, sondern nur um weitere ergänzt.

Wie nachhaltig sind E-Bikes?

Ich glaube, dass ein Potenzial der Nachhaltigkeit bei E-Bikes unzweifelhaft vorhanden ist. Es bedingt natürlich, dass die Menschen es auch wirklich nutzen und dafür ihr Auto stehen lassen. Das tun sie leider noch nicht in dem Maße, wie es eigentlich sein könnte. Und das bringt mich zu einem ganz entscheidenden Punkt: die mangelhafte Infrastruktur in Deutschland. Radwege sowohl im urbanen, aber auch im ländlichen Raum stehen in der Verkehrsplanung ganz unten auf der To-do-Liste. Bei uns wurde vor Kurzem eine neue dreispurige Bundesstraße eingeweiht, doch Radwege sucht man vergeblich. Und wir reden hier von einer Einfallstraße in den Bayerischen Wald.

Wie sieht der Lebenszyklus eines E-Bikes aus, insbesondere bei der Betrachtung des Akkus? 

Ein E-Bike-Akku hält lange, und der ist für mich auch nicht der limitierende Faktor. Große, seriöse Batteriehersteller von namenhaften Marken geben eine Akku-Lebensdauer von 500 bis 1000 Ladezyklen an. Ein moderner E-Bike-Akku kommt mit einer Ladung 80 bis 100 Kilometer weit. Ergo: Man kommt auf eine Laufleistung von 50.000 bis 100.000 Kilometern. Und nach diesen 1000 Ladezyklen ist der Akku nicht kaputt, sondern läuft je nach Hersteller bis zu einer Kapazität von 60 Prozent weiter. Acht Millionen E-Bike-Batterien sind derzeit in Deutschland im Umlauf, davon wurden bislang lediglich 320.000 – ca. vier Prozent – recycelt. Und es verhält sich mit den E-Bike-Akkus genauso wie mit allen anderen Akkus auch – die Hersteller sind zur Rücknahme und zum Recycling von mindestens 90 Prozent der Materialien und Rohstoffe verpflichtet.    

Gibt es Sharing-Modelle? 

Weit verbreitet sind die noch nicht, aber es gibt Modelle wie Sharea. Eine Wortkombination aus Sharing und Area. In neu entstehenden Wohnquartieren sollen zukünftig Shareas mit eingeplant werden. Bewohnerinnen und Bewohner eines solchen Areals können dann auf beispielsweise 20 E-Bikes, drei Lastenräder und vielleicht auch noch einen Scooter und sogar ein E-Auto zugreifen. Über eine interne App sind die Mobilitätslösungen dann buchbar. Die Idee dazu stammt aus Köln. Die ZEG (Zweirad-Einkaufs-Genossenschaft) – der ca. 1000 Händler deutschlandweit angehören – forciert gerade dieses Sharing-Modell. Was relativ häufig angeboten wird, sind aber Abo-Modelle.

E-Bikes sind recht kostspielige Anschaffungen. Wie sieht es mit Leasing-Modellen aus? 

Das ist ein superwichtiges Thema für die ganze Branche. Leasing hat mit Sicherheit einigen Herstellern – so wie auch Corona – die Existenz gesichert. Das muss man ganz platt so sagen. Weil es sehr gut angenommen wird. Es gibt Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber, die bieten E-Bike-Leasing in der Gehaltsumwandlung an.

Gibt es einen Gebrauchtmarkt für E-Bikes?

Den gibt es. Beim Kauf von privat muss man aber schon vorsichtig sein. Es gibt einfach ein paar Faktoren, die es zu beachten gilt: Die Akkus sind sehr stoßempfindlich. Und der Akku ist ein teures Teil am Rad. Da reden wir schnell über 700 bis 900 Euro. Ich würde daher ein gebrauchtes E-Bike entweder beim Fachgeschäft direkt kaufen oder zumindest von einer Expertin oder einem Experten checken lassen. Siegel wie Gebraucht-E-Bike-Check geben zumindest die Gewissheit, dass sich eine Fachfrau, ein Fachmann das Rad mit einem Diagnosegerät angeschaut hat. So erfährt man unter anderem, wie viele Ladezyklen der Akku hatte. Anders als beim konventionellen Fahrrad lassen sich die Daten beim E-Bike präzise auslesen. 

Ist Deutschland Vorreiter in Sachen E-Bike? 

Das E-Bike erfährt schon einen großen Boom in der breiten Masse. Wenn ich ins Ausland schaue, gibt es natürlich auch starke Märkte in den Niederlanden, Belgien und Luxemburg. Aber wenn man die G7 betrachtet, da hat das E-Bike noch nicht so den Stellenwert. Italien, Frankreich, Großbritannien und vor allem die USA, da nimmt das alles jetzt erst richtig Fahrt auf. Im Moment ist der deutsche E-Bike-Markt mit Abstand der wichtigste, global gesehen. In Deutschland wurden letztes Jahr rund zwei Millionen E-Bikes verkauft. Das ist fast die Hälfte aller verkauften Fahrräder. Die Branche hatte dies als Fernziel für das Ende des Jahrzehnts ausgegeben.   

Ist das E-Bike als Lifestyle-Produkt oder als ernst zu nehmende Mobilitätsergänzung zu sehen?

Family-Bikes oder Lastenfahrräder haben tatsächlich das Potenzial, zumindest den Zweitwagen zu ersetzen. Und das passiert auch. Vor fünf Jahren war in der Münchner Innenstadt kaum ein sogenanntes Cargobike zu sehen. Und heute gehören sie zum Straßenbild dazu. Regional und städteabhängig gibt es sogar Förderprogramme, die eine solche Investition bezuschussen. Und es gibt einige E-Bike-Besitzerinnen und -Besitzer, die die Verkehrswende hier beschreiten. Die breite Masse sieht das E-Bike aber nach wie vor als Freizeitgerät. 

Wie nachhaltig ist E-Bike-Fahren unter dem Gesundheitsaspekt? 

Es gibt eine sehr große Studie, die die medizinische Hochschule Hannover mit vielen Tausend Probanden über die letzten zwei Jahre durchgeführt hat. Die Ergebnisse sind zwar noch nicht veröffentlicht. Ich weiß aber aus Gesprächen mit Prof. Dr. med. Uwe Tegtbur, Direktor des Instituts für Sportmedizin in Hannover, dass die Studie klare Hinweise und wichtige Erkenntnisse hinsichtlich eines gesünderen Lebensstils mit E-Bike liefert. Das Herzinfarktrisiko sinkt, sodass auch weniger Folgekosten im Gesundheitssystem entstehen. Und ein interessanter Faktor, der aus dieser Studie auch hervorgeht, ist, dass Menschen mit E-Bike sich häufiger auf den Sattel schwingen, als klassische Fahrradfahrerinnen und Fahrradfahrer das tun.

Welche Technologietrends sind im Bereich E-Bike festzustellen?

Es gibt viele kleine Trends wie etwa GPS. Wenn man sich ein E-Bike für 5000 Euro kauft, soll man ja wissen, wo es ist, falls es geklaut wird. Es lassen sich aber so noch ganz andere Daten erheben. Gesundheitsdaten beispielsweise, die man mit Krankenkassen und Ärzten teilen kann. Derzeit werden von namhaften Herstellern ABS-Systeme etabliert, denn die Bremswirkung von E-Bikes darf man nicht unterschätzen. Und stetig werden die Akkugrößen und -leistungen weiterentwickelt. Allerdings ist diese Reichweiten-Angst oftmals unbegründet. Um im Alltag ein paar Kilometer abzureißen, reicht eigentlich ein kleiner Akku mit 300 Wattstunden. 

Wird das konventionelle Fahrrad in absehbarer Zeit vom E-Bike abgelöst?

Ich würde sogar so weit gehen, dass – wenn man sich die entsprechenden Bereiche anguckt – das E-Bike das klassische Fahrrad eigentlich schon abgelöst hat. Wo sind diese 56 Prozent der klassischen Fahrradfahrerinnen und Fahrradfahrer? Kinder- und Studentenfahrräder im Low-Budget-Segment werden noch nachgefragt. Alle anderen kommen kaum um das E-Bike herum. 

Mit Zweirädern hat der heute 53-Jährige eigentlich schon sein ganzes Leben zu tun: Im Alter von 14 Jahren steigt er in den Rennradsport ein und nimmt an Jugend- und Amateurmeisterschaften teil. Wirklich lukrativ ist der Sport nicht, sodass er ihn relativ schnell wieder an den Nagel hängt. Es folgen Triathlon- und Ironman-Erfahrungen – und das Rennrad ist auch so weiter sein ständiger Begleiter. Als Buchverleger und mit eigenen Journalismus-Ambitionen veröffentlicht Marcus Degen 2003 sein erstes Fahrradmagazin „Procycling“, das sich im Kern mit dem Profi-Radsport auseinandersetzt. Es folgen Mountainbike-Magazine und ein allgemeines Fahrradmagazin. Nach diesen Projekten in gedruckter Form widmet der Niederbayer sich der Online- und Digitalwelt und ruft die Website „Velomotion“ ins Leben. Hier dreht sich alles rund um das Fahrrad: vom sportlichen Bike bis zur Kindervariante, Zubehör, Tests und viele andere Themen. Sein 15-köpfiges Redaktionsteam liefert zudem als Dienstleister für Focus Online immer wieder E-Bike-Tests und unterstützt diverse Fahrradhersteller bei der Erstellung von Text- und Bildmaterial – unter anderem auch die ZEG (Zweirad-Einkaufs-Genossenschaft). Foto: Velomotion.de

E-Bike-Experte Marcus Degen

E-Bike-Trend bei Steinbeis Papier 

Nachhaltigkeitsbotschafter bei Steinbeis Papier sind auch alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Sie treiben nicht nur Innovationen dahingehend bei Steinbeis Papier voran, sondern erkunden auch persönlich Wege zu mehr Nachhaltigkeit. Das schließt das Thema Mobilität natürlich mit ein. Einige von ihnen haben diesbezüglich den E-Bike-Trend für sich entdeckt und erklären, warum auch sie nicht mehr auf das elektrifizierte Zweirad verzichten möchten:

Im Urlaub konnten wir uns von der Faszination E-Bike überzeugen. Mittlerweile haben wir den Zweitwagen abgeschafft, und ich fahre täglich fünf Kilometer mit dem E-Bike zur Arbeit.

Gerhard Timm, Oberwerkführer Papiermaschine 4

Seit vier Jahren setze ich mich auf ein E-Bike, und auf dem Tachometer stehen mittlerweile mehr als 15.000 Kilometer. Die Fahrt zur Arbeit verbinde ich so mit einer perfekten Fitnesseinheit.

Wilfried Jordan, Leiter Ausrüstung

Hier im Norden kommt der Wind immer gefühlt von vorn. Die Anschaffung von E-Bikes war für meine Frau und mich eine Offenbarung. Jetzt absolvieren wir bei unseren Ausflügen die doppelte Strecke und erleben so noch mehr Natur abseits der Straßen.

Achim Biston, Leiter Personal und Allgemeine Verwaltung

Zwischen meinen Terminen fahre ich zum Mittagessen nach Hause. Mit dem E-Bike kann ich das stressfrei erledigen und komme so auch nicht verschwitzt in anschließende Meetings.

Thomas Denk, Leiter Produktion

Schon 2013 – als ich bei Steinbeis angefangen habe – begann meine Leidenschaft für das E-Bike-Fahren. Das erste, etwas klobige Modell habe ich mittlerweile gegen eine Sportvariante eingetauscht und erledige 95 Prozent meiner Arbeitswege damit.

Kathrin Willich, Leiterin vollbiologische Kläranlage

Wir sind erst seit Kurzem E-Bike-Besitzer. Und die Anschaffung rentiert sich schon jetzt: Da wir den Arbeitsweg – 52 Kilometer hin und zurück – mit den elektrifizierten Zweirädern und nicht mehr mit dem Auto absolvieren, sparen wir viel Kraftstoff.

Luisa Egge und Kevin Neumann, Springerin und Springer Produktion

Das Thema Nachhaltigkeit beschäftigt mich permanent. Ich bin E-Bike-Fahrer der ersten Stunde und lege sehr viel Wert auf ökologisch verträgliche Mobilitätslösungen. Zur Arbeit nutze ich ergänzend ein kleines Elektroauto.

Dirk Thater, Vorarbeiter in der Ausrüstung

Als passionierter Rennradfahrer stand ich E-Bikes lange Zeit skeptisch gegenüber. Doch ich wurde eines Besseren belehrt – jetzt fahre ich mit meinem Trekking-E-Bike täglich 60 Kilometer. Das hält fit und fühlt sich auch gut an.

Reiner Groß, Werksführer Produktionsstrang Papiermaschine 6


Titelbild: Himiway Bikes/Unsplash


Autor/-in

Benjamin Seibring

Benjamin Seibring ist Redakteur für die Bereiche Lifestyle und Mobilität. Er interessiert sich zudem für Kulturthemen mit den Schwerpunkten Musik, Film und Medienanalyse.

Beiträge von Benjamin Seibring


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