Ökologie & Gesellschaft

Wie Deutschland zur Recycling-Nation wurde

Tonnenweise Altpapier aus privaten und gewerblichen Sammelstellen findet jeden Tag den Weg zu AP Concept und wird dort sortiert und weiterverarbeitet. Foto: AP Concept

06.10.2020 - Deutschland, Mekka der Mülltrennung. Bis zu 80 Prozent des Abfalls in unserem Land werden recycelt, und jeder Haushalt hilft mit. Das ist nicht nur gut für die Umwelt und den Klimaschutz, sondern auch ein wichtiger Wirtschaftsfaktor – und die wichtigste Maßnahme auf dem Weg aus einer Wegwerfkultur, die wir uns einfach nicht mehr leisten können. Auch wenn noch viel zu tun ist: Um mit Optimismus in die Zukunft zu schauen, ist es wichtig, von Zeit zu Zeit zurückzublicken. Und sich klarzumachen, wie weit wir durch unser allmähliches Umdenken als Gesellschaft schon gekommen sind. Oder können Sie sich noch gut an die Zeit vor dem Grünen Punkt erinnern? An einen Haushalt ohne Altpapierstapel? Eben!

Steinbeis Papier ist ein Recycling-Pionier. Das wird besonders deutlich, wenn man sich vor Augen führt, wie jung die Geschichte der Abfall- und Recyclingwirtschaft in Deutschland eigentlich ist: Anfang der Neunzigerjahre wurde das erste Gesetz zur verpflichtenden Mülltrennung verabschiedet – da hatte das Glückstädter Unternehmen bereits seit über 15 Jahren komplett auf die Verwertung von Altpapier als Sekundärrohstoff umgestellt.

Seither hat die Steinbeis Holding ihr Geschäftsfeld auf viele Ebenen der Abfallwirtschaft und Recyclingproduktion ausgeweitet. Das Schwesterunternehmen AP Concept, 2001 als Joint Venture gegründet, bereitet Altpapier für die Wiederverwertung auf. Die EBS Concept GmbH sortiert seit Mai 2011 Reststoffe und erzeugt daraus Ersatzbrennstoffe; diese werden anschließend direkt am Standort, im Kraft-Wärme-Kopplung-Kraftwerk der Steinbeis Energie GmbH, energetisch verwertet. Und seit 2019 gehört auch die Kruschitz GmbH zur Holding-Familie: Das österreichisch-deutsche Unternehmen mit über 60-jähriger Firmengeschichte gilt als Vorreiter des Kunststoffrecyclings. Aus den von Kruschitz hergestellten Recycling-Granulaten werden zum Beispiel Flaschen, Verpackungen, Folien und Möbel hergestellt.

Abfallnotstand in den neuen Bundesländern 1990: Der Verpackungsmüllberg in einem Cottbusser Supermarkt übersteigt die Kapazitäten des Containers – einheitliche Recyclingtonnen folgen jedoch bald. Foto: Rainer Weisflog/Bundesarchiv/wikimedia commons, CC-BY-SA 3.0

All diese Wirtschaftszweige haben einen gemeinsamen Nenner: Nachhaltigkeit durch Ressourcenschutz. Im Mittelpunkt steht die Wertschöpfung aus Sekundärrohstoffen. Vor diesem Hintergrund ist es heutzutage kaum vorstellbar, dass noch vor 50 Jahren wertvolle, teils gefährliche, in jedem Fall aber aufwendig gewonnene Materialien nach ihrer Erstnutzung auf Deponien landeten. Zum einen litten dadurch unsere Umwelt und unsere Lebensqualität beträchtlich. Zum anderen wurden so Millionenbeträge buchstäblich auf den Müll geworfen. Doch wie und wann entstand eigentlich die heutige Wertschätzung von Sekundärressourcen – und damit unser Mülltrennungssystem?

Die Anfänge

Abfall in den 1960er-Jahren: ein Problem von kaum mehr händelbarem Ausmaß. Im November 1971 berichtete die Zeitschrift „Der Spiegel“, aus dem bundesdeutschen Hausmüll ließe sich jährlich ein 3.000 Meter hoher Abfallberg über dem Oval des Münchner Olympiastadions auftürmen – und jedes Jahr komme ein neuer Dreitausender dazu. Was deutsche Haushalte und Unternehmen wegwarfen, landete überwiegend auf kaum kontrollierten, offenen Müllkippen. Nahezu jede Gemeinde betrieb ihre eigene; Ende der 1960er-Jahre existierten ca. 50.000. 

Das war kein Zufall: Dank der neuartigen Massentauglichkeit von Kunststoff und dem allgemein steigenden Wohlstand wurde mehr und schneller konsumiert als je zuvor. Und so wuchsen auch Verpackungsmenge und Müllmenge in ungeahnte Höhen.

Der Wendepunkt

Bereits 1971 war im Umweltprogramm der Bundesregierung zu lesen, dass trotz des rasanten Anstiegs des Verpackungs- und Industriemülls „mehr als 90 % aller Abfallstoffe, genau wie vor hundert Jahren, ohne besondere hygienische Vorsichtsmaßnahmen irgendwo im Gelände abgelagert“ wurden. Das Problem war also bekannt. Ein 1972 erlassenes Gesetz über die Beseitigung von Abfällen wurde zum ersten Meilenstein. Erstmals ordnete man hier die Abfallwirtschaft einheitlich und legte Entsorgungspflichten fest. Vor allem die Vielzahl kleiner Müllkippen sollte auf wenige, gut zu kontrollierende Deponien mit höheren Umweltstandards reduziert werden. Tatsächlich sank die Zahl der Hausmülldeponien in den alten Bundesländern deutlich; 1984 waren von den einst rund 50.000 Müllkippen nur noch 385 übrig.

Neue Impulse

Bereits 1975 hatte das Abfallwirtschaftsprogramm der Bundesregierung die neue Zielhierarchie der modernen Abfallwirtschaft formuliert: Der beste Abfall ist der, der gar nicht erst anfällt. Die Wiederverwertung wurde als zweitbeste Zielsetzung formuliert, ihre Kosten sollten den Verursachenden auferlegt werden. Diese neuen Prioritäten waren vorerst eher Vorschläge an die breite Öffentlichkeit und nicht rechtlich bindend. Doch der erste Schritt war getan. 

Ende der 1970er-Jahre stellten immer mehr Kommunen Behälter für Altglas auf, Mitte der 1980er kamen Altpapiercontainer hinzu. So wurde Mülltrennung auf freiwilliger, privater Basis alltagstauglich gemacht, und in der Gesellschaft veränderten diese Pilotangebote die Haltung gegenüber dem Abfall. Dazu kamen Zeitphänomene: ein beängstigendes Waldsterben Ende der 70er- bis Mitte der 80er-Jahre – und die Ölpreiskrise, die auch im Alltag ein Bewusstsein für die Endlichkeit natürlicher Ressourcen schaffte. Parallel dazu erreichte das Deponieren, insbesondere in urbanen Ballungsräumen, erneut die Grenzen des Machbaren. Die Deutschen begannen, Wertstoffe wiederzuverwerten. Innovative Maßnahmen zur Wiederverwendung von Altpapier machten den Anfang – Vorreiter Steinbeis Papier stellte 1976 komplett auf diese Technologien um –, und zunehmend widmete man sich nun der wirtschaftlich sinnvollen Wiederaufbereitung aller Arten von Altstoffen. Aus Abfall wurde ein wertvolles Wirtschaftsgut: ein Sekundärrohstoff.

Aus PET-Flaschen und Co. stellen Unternehmen wie die Kruschitz GmbH mithilfe innovativer Verfahrenstechnik kleinste Flakes her, die sich später wieder in neue, stabile Kunststoffprodukte verwandeln. Foto: Polina Tankilevitch/Pexels, Kruschitz GmbH

Die Verpackungsverordnung von 1991

Wollte man der Müllberge Herr werden, mussten größere Hebel angesetzt werden – diese Einsicht wuchs auch in der damaligen Regierung. So entstand die wegweisende Idee von der bindenden Produktverantwortung für Hersteller und Vertreiber. Sie sollen verantwortlich für die Rücknahme ihrer eigenen Produkte oder der bei deren Gebrauch anfallenden Abfälle sein. Denn nur sie hatten die Möglichkeit – und nun auch den Ansporn –, gut recycelbare Produkte zu entwickeln. 

Damit setzte sich im Verlauf der 1980er-Jahre teilweise auch ein Systemwechsel in der Abfallentsorgung durch: weg von staatlich-kommunaler hin zu vorrangig privater Verantwortung. 1991 wurde dieser Leitgedanke schließlich in einer gesetzlichen Verpackungsverordnung umgesetzt. Für das Sammeln und Entsorgen von Verpackungen – die einen Großteil des Siedlungsabfalls ausmachten – waren nun deren Produzenten verantwortlich. Ein Verband deutscher Lebensmittelindustrieller gründete im Zuge der Gesetzgebung die Gesellschaft Duales System Deutschland (DSD) und betraute sie mit der Organisation dieser Aufgabe. Um Wettbewerb zu schaffen, kamen ab 2001 weitere Systeme hinzu. Das Markenzeichen des DSD: der Grüne Punkt. Er zählt inzwischen zu den international bekanntesten Markenzeichen und wird in vielen Ländern als Lizenzzeichen für das Verpackungsrecycling genutzt.

Wo stehen wir heute?

Seit dem 1. Januar 2019 haben wir ein neues Verpackungsgesetz. Es hat die Zielsetzung, noch wesentlich mehr Abfälle aus privaten Haushalten in den Recyclingprozess zu überführen. Seine aktuellste Änderung trat im Juni 2020 in Kraft. Das Gesetz richtet sich an Hersteller, Online-Händler und Unternehmen, die wiederverwertbare Verpackungen in Umlauf bringen. Verpackungsabfälle sollen „vorrangig vermieden“ und „einer Vorbereitung zur Wiederverwendung oder dem Recycling zugeführt werden“ – in dieser Reihenfolge. Denn obwohl die Abfallwirtschaft inzwischen zu den saubersten Industrien unseres Landes gehört und in Sachen Klimaschutz erstaunlich gut dasteht, bleibt eine Erkenntnis seit 45 Jahren gültig: Der beste Abfall ist gar kein Abfall.

 

Titelbild: Friedrich Gahlbeck/Bundesarchiv/wikimedia commons, CC-BY-SA 3.0

 

Autor:in Nadine Kaminski



Leider verwenden Sie einen veralteten Browser.
×
Unser Internetauftritt wurde auf Basis zeitgemäßer und sicherer Technologien entwickelt. Daher kann es bei der Nutzung eines veralteten Browsers zu Problemen bei der Darstellung und den Funktionalitäten kommen. Wir empfehlen Ihnen, einen anderen aktuellen und kostenlosen Browser zu nutzen:
Mozilla Firefox
Google Chrome
Microsoft Edge