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Von der Papiertonne ins Werk

Foto: AP Concept

07.07.2020 - Papierrecycling in Deutschland funktioniert – wenn dem nicht so wäre, hätte das Unternehmen Steinbeis Papier keine Grundlage. AP Concept, ein Schwesterunternehmen, bereitet Altpapier für die Neuverarbeitung auf. Wir sprechen mit Geschäftsführer Heinz Uhlig über seine Firma und die größeren Zusammenhänge der Arbeit mit Altpapier. Was wir dabei erfahren, ist zum Teil ernüchternd. Es regt uns jedoch zum Nachdenken an. Und auch dazu, umsichtiger zu handeln. So kritisch das Thema Papierrecycling und seine Stakeholder auch beleuchtet werden – von der Arbeit seiner Teams in Deutschland und Großbritannien ist Herr Uhlig überzeugt, vom Management bis zum Sortierer am Band.

Sie kaufen und verkaufen im Jahr circa 600.000 Tonnen Altpapier, von denen Sie etwa die Hälfte selbst sortieren. Wie läuft das ab, und woher kommt das Altpapier?

Es gibt kommunales und gewerbliches bzw. industrielles Altpapier. Ersteres ist das, was in den blauen Tonnen in den Haushalten gesammelt wird. Dafür sind die Kommunen verantwortlich, die das Sammeln entweder selbst übernehmen oder jemanden damit beauftragen. Es muss anschließend über einen zertifizierten, gesetzlich geregelten Prozess der Verwertung zugeführt werden. Industrielles Altpapier kommt aus Gewerbebetrieben, wie beispielsweise Druckereien. Es fällt unter andere Regularien. Gewerbliche Anfallstellen können dieses auch privaten Entsorgern anbieten, wohingegen Kommunen in der Regel verpflichtet sind, eine europaweite Ausschreibung vorzunehmen.

Woher das Altpapier auch stammt, es muss einer Verwertung zugeführt werden. Das geschieht in Entsorgungsfachbetrieben wie unserem. Die Sortieranlagen trennen grafisches Altpapier von Verpackungsmaterial und Reststoffen. Aus dem Gesamtaufkommen heraus lassen sich insgesamt 85 Arten von Altpapier sortieren, die in Europa in der Sortenliste EN 643 unterschieden werden. Zwischen den Sorten gibt es derzeit eine Preisspanne von ein paar bis mehreren Hundert Euro pro Tonne, je nach Qualität. Die Qualität hängt nicht nur vom Ausgangsmaterial ab, sondern vor allem davon, wie viel Arbeit in die Wiederaufbereitung investiert wird. Das wiederum hängt davon ab, wie der Markt weltweit gerade aussieht – dieser ändert sich beständig, und das in einem sehr hohen Tempo und mit zunehmender Volatilität.

Also geht es dabei um Angebot und Nachfrage, letztlich also um Geld?

Natürlich. Es geht immer um Geld. Wer Altpapier hat, verkauft es an den Meistbietenden. Was passiert, ist Folgendes: Die Entscheidungstragenden der kommunalen Abfallversorgung versuchen, die Gebühren für die Abfallentsorgung, die jeder Haushalt zahlen muss, stabil zu halten. Und das, obwohl nachweislich Transportkosten, Löhne etc. in den letzten zehn Jahren ständig gestiegen sind. Das funktioniert aber nur, weil das Altpapier aufgrund seines hohen Wertes das Ganze quersubventioniert. Mit anderen Worten: Um an der einen Stelle die realen Kostensteigerungen nicht weitergeben zu müssen, werden diese Kosten auf die Entsorgungs- und Recyclingwirtschaft abgewälzt. Damit riskieren wir unsere Kreislaufwirtschaft. Wenn diese kollabiert, kann wohl niemand das Ausmaß des Schadens abschätzen.

Den Menschen muss klar sein, dass Entsorgung und Recycling existenziell wichtig und systemrelevant sind, weil wir diesen Planeten nicht unendlich belasten können. Dass es wenig Bewusstsein dafür gibt, liegt zu einem großen Teil daran, dass die meisten nicht darüber nachdenken, was mit dem Abfall passiert, wenn er einmal aus den Augen ist. Außerdem haben wir in Deutschland ein Bürokratie-Monstrum geschaffen, das Entsorgern viele Steine in den Weg legt. Die Auflagen und die Dokumentationspflicht, denen unsere Branche unterliegt, sind enorm. Sie laufen kaskadenartig von der EU-Gesetzgebung über die Bundes- auf Landesebene. Umweltaspekte haben dabei keine betriebswirtschaftliche Relevanz, was bedeutet, dass ihre Berücksichtigung nicht honoriert wird.

Foto: AP Concept

Das bedeutet, Nachhaltigkeit spielt in diesem System keine übergeordnete Rolle?

Genau. Wenn Nachhaltigkeit wirklich Priorität für uns alle hätte, wären sowohl Gesetzeslage als auch Konsumverhalten anders. Vieles von dem, was auf politischer Ebene, aber auch von Seiten der Verbraucher kommt, sind nur Lippenbekenntnisse. 

Wieso lassen wir uns denn nicht wirklich von Umweltfragen leiten, auch wenn heutzutage alles danach schreit?

Weil Umweltschutz und Recycling Geld kosten. Ein Beispiel: Der Ölpreis ist gerade im Keller. Plastik ist deswegen billig. Das Plastikrecycling steht kurz vor dem Kollaps, weil keine Nachfrage für das recycelte Plastik besteht, denn es ist teurer als „neues Plastik“. Hätte die Umwelt für alle tatsächlich oberste Priorität, würde umweltschädliches Verhalten sanktioniert und umweltfreundliches Verhalten belohnt, im Großen wie im Kleinen. Natürlich ist es schwierig, alle Stakeholder an einen Tisch zu bekommen und einen Konsens zu finden, doch wenn man den Umweltaspekt weiter isoliert betrachtet, wird er auch weiter keine tragende Rolle spielen. Nicht nachhaltig und umweltbewusst zu handeln, kostet uns alle am Ende mehr, als durch Umweltschutz und Recycling Schäden für unsere Umwelt und damit auch für die Bevölkerung zu vermeiden. Gemeinsam mit Steinbeis versuchen wir schon seit vielen Jahren einen vollständig geschlossenen Altpapierkreislauf zu entwickeln; das ist uns bis dato nicht gelungen, weil die zahlreichen Stakeholder oft gegenläufige Interessen wahren müssen und daher unmöglich zu vereinen sind.

Wie sehen Sie die Rolle des Verbrauchers bei diesem Thema?

Letztlich liegt natürlich alles in der Hand des Verbrauchers. Und seine Disziplin ist ebenfalls ein großes Thema. Wenn ich gefragt werde, worauf bei der Trennung von Altpapier geachtet werden soll, sage ich immer: Auf gar nichts, es ist keine Raketenwissenschaft! Es darf eben einfach nur Altpapier im Altpapier landen. Kein Restmüll, kein Biomüll, keine Einwegspritzen, keine Batterien und keine alten Farbeimer. Wir arbeiten in unseren Anlagen mit hochsensibler Technik, wenn da so ein halb voller Farbeimer reinpurzelt und aufgeht, haben wir schnell Schäden von 20.000 Euro, für die niemand die Verantwortung tragen möchte.

Unglaublich! Mit welchen „Störstoffen“ haben Sie noch zu kämpfen?

Ich möchte niemandem die Laune verderben, aber manche verstecken schon abenteuerliche Dinge im Altpapier, weil dessen Entsorgung keine zusätzlichen Kosten mit sich bringt. Wir hatten neben den zuvor genannten Dingen auch schon Schlauchboote, Motorradmotoren und Staubsauger in den Anlieferungen. Und zu Zeiten der Vogelgrippe auch einmal tote Gänse. Da mussten sich das Veterinäramt und die Kriminalpolizei einschalten.

Ich muss aber sagen: Die meisten Leute trennen richtig. Der Rest tut es entweder fahrlässig oder vorsätzlich nicht. Erstere Gruppe kann durch Schaffung eines Bewusstseins für die Thematik erreicht werden, zweitere Gruppe nicht.

Aber auch abgesehen von solch extremen Beispielen steigt der Anteil an sogenannten Rejecten, also Störstoffen, in der Neupapierproduktion stetig. Das ist natürlich eine Herausforderung. Ich möchte daher noch einmal betonen, dass Entsorgung ebenso wichtig ist wie Versorgung. Sie sollte in Zukunft einen höheren Stellenwert haben, auch in finanzieller Hinsicht. Es wäre wünschenswert, dass Verbraucher sich bereit erklärten, die Mehrkosten für Recyclingprodukte zu bezahlen. Denn effektiv betrachtet sind Recyclingprodukte ein Investment in die Zukunft. Und dieses Investment hilft uns, langfristig deutlich höhere Kosten zur „Reparatur“ für verursachte Schäden an der Umwelt zu vermeiden.

Wie steht es um Ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter?

Wir sind ein Entsorgungsfachbetrieb; wir arbeiten mit Müll. Die Menschen, die hier im Betrieb tätig sind, sind ungeachtet dessen hoch qualifiziert und haben zu Unrecht ein geringes Ansehen in der Öffentlichkeit. Sie verrichten ihre Arbeit zum Wohle der Umwelt. Dafür verdienen sie Wertschätzung. Unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ist bewusst, dass sie in einem sehr wichtigen Teil der Wertschöpfungskette tätig sind – den Bürgerinnen und Bürgern sollte das ebenfalls bewusst sein.

Wo steht das Unternehmen Steinbeis Ihrer Ansicht nach bei diesem Thema?

Steinbeis war eines der ersten Unternehmen weltweit, welches sich aktiv mit dem Thema Nachhaltigkeit und Recycling auseinandergesetzt hat. Das gesamte Geschäftsmodell von Steinbeis basiert auf Nachhaltigkeit. Sie, und auch wir von AP Concept, nehmen schon seit Bestehen größte Anstrengungen auf sich, um den Nachhaltigkeitsgedanken wirklich in die Köpfe der Menschen zu bekommen. Steinbeis ist in dieser Hinsicht Vorreiter gewesen, seiner Zeit voraus. Heute haben wir einen gemeinsamen simplen Wunsch: Dass alles, was der Umwelt schadet, keinen Profit generieren kann, und alles, was der Umwelt hilft, honoriert wird.

Titelbild: AP Concept


Autor/-in

Isabella Bigler

Isabella Bigler ist Redakteurin und Texterin. Hier schreibt sie über nachhaltige Themen, die Vergangenheit und die Zukunft – gelegentlich mit Unterstützung ihrer engagierten Interns Lumen Nguyen und Liam Jennings.

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