Ökologie & Gesellschaft

Blühflächen – die Zukunft säen

Um als Nahrungsquelle für bestäubende Insekten zu dienen, müssen Blüten ungefüllt sein und Pollen und/oder Nektar tragen. Das Problem: Moderne Züchtungen sind nicht darauf ausgelegt, dass die Blüten ein reiches Buffet liefern. Stattdessen liegt der Fokus häufig darauf, dass die Pflanzen hübsch aussehen, lange blühen sowie krankheitsresistent und unkompliziert sind. So etwa bei der Malve auf diesen Bildern. Während die Blüte links über und über mit Blütenblättern gefüllt ist, lässt die ungefüllte Wildform rechts reichlich Platz für Bestäuber. Deshalb ist bei der Aussaat und beim Pflanzen immer Blumen der Vorzug zu geben, die ungefüllt sind. Fotos: Cephas/Wikimedia Commons (CC BY-SA 4.0), Robert Flogaus-Faust/Wikimedia Commons (CC BY 4.0)

24.05.2022 - Auf 1.000 Quadratmeter Fläche haben die Glückstädter Werkstätten, der NABU und Steinbeis Papier ein kleines Biotop geschaffen. Damit Königskerzen-Mönch, Kiebitz und Rotbauchunke eine rettende Insel finden. Denn: In den letzten Jahrzehnten verschwindet zunehmend die Wildnis aus der Natur und mit ihr die Artenvielfalt. Das geht so weit, dass Expertinnen und Experten weltweit von einem ökologischen Armageddon sprechen. Die Insektenarten Europas sind bedroht. In den vergangenen drei Jahrzehnten ist ihre Zahl um mehr als 75 Prozent geschrumpft. Dabei macht Mut, dass sich immer mehr Menschen um Artenvielfalt bemühen und sich auch Landwirt:innen vermehrt für Biodiversität engagieren. In Bau- und Supermärkten sprießen auch deshalb die Samentütchen für Blühflächen aus den Regalen. Das verkaufte Versprechen: Gutes tun mit wenig Aufwand. Ein paar Samen sollen der heimischen Flora und Fauna helfen. Was da werbewirksam versprochen wird, ist jedoch mit Vorsicht zu genießen. Denn nicht jede blühende Fläche ist ein Garant für mehr Artenvielfalt. Ein kritischer Blick darauf, was Blühflächen wirklich leisten können und was bei ihrer Anlage zu beachten ist. 

Blühstreifen können einen vielfältigen ökologischen Nutzen bringen. So schaffen sie in einer durch Kulturlandschaft geprägten Umgebung Rückzugsräume für zahlreiche Tiere und Pflanzen und schützen gleichzeitig die Erdoberfläche vor Erosion – bei korrekter Anlage, im Sommer und im Winter. Mehr noch: Locken die Blühflächen viele Nützlinge wie Insekten, Vögel und Amphibien an, helfen sie, Schädlinge auf natürliche Weise in Schach zu halten, ganz ohne den Einsatz von Pestiziden. So weit die Theorie.

Prüfe, wer sät

Häufig enthalten die im Handel erhältlichen einjährigen Blühmischungen jedoch viele „exotische“ Pflanzen. Damit sind, vereinfacht gesagt, Pflanzen gemeint, die ursprünglich nicht in unseren Breiten vorkommen (s. dazu auch H wie heimische Arten). Stellenweise kann durch die neu eingesäten „Exoten“ die Artenvielfalt zunehmen. Kritische Stimmen warnen jedoch vor den möglichen negativen Auswirkungen. Besetzen die Neuankömmlinge nämlich die gleichen ökologischen Nischen wie heimische Arten, entsteht ein Kampf um Platzangebot und Nährstoffe. Sind die invasiven Arten besser angepasst oder schlicht mächtiger im Wuchs, verdrängen sie die heimischen komplett.1 Ihr Aussterben verringert dann nicht nur die biologische Vielfalt, sondern reißt eine Lücke in die Nahrungskette vieler Lebewesen.

Zudem sind „Exoten“ meist einjährige Pflanzen, die im Winter absterben und die Böden ungeschützt hinterlassen. Ein Vorteil mehrjähriger heimischer Blühflächen ist, dass viele Pflanzen den Winter als Rosette überdauern. Im Frühjahr bieten sie Nahrung für Insekten, die bereits sehr früh im Jahr aktiv sind und nur wenig Zeit haben, um Pollen für die Vorbereitung der Brutnester zu sammeln.2

Links: Wenn Sie heimische Königskerzen aussäen, können Sie mit etwas Glück die großen, gelb-weiß gepunkteten Raupen des Königskerzen-Mönchs beobachten. Rechts: Zu den Abwehrstoffen in der Pflanzenwelt zählen etwa ätherische Öle (Lavendel) oder Nervengifte (Fingerhut – zu sehen auf dem Bild). Auch Nikotin, Cannabis, Koffein und Opium sind sogenannte Alkaloide, die die Pflanzen zur Abwehr von Fressfreinden produzieren. Fotos: Hagen Graebner/Wikimedia Commons (CC BY-SA 3.0), SB Johnny/Wikimedia Commons (CC BY-SA 3.0)

Auf die Form kommt es an

Außerdem dienen „Exoten“ in Saatmischungen nur begrenzt als Futterquelle für Insekten. Sicherlich locken Blütenfarbe und Duft zahlreiche Bestäuber an. Doch, wenn überhaupt, finden hier vor allem Generalisten wie Honigbienen und Dunkle Erdhummeln Nahrung. Bedrohte bestäubende Insekten, wie rund die Hälfte der 550 in Deutschland bekannten Wildbienenarten, sind jedoch darauf angewiesen, dass jene Blüten wachsen, die zu ihrer bevorzugten Nahrungsquelle gehören. Ob die Insekten an Nektar und Pollen kommen, hängt nämlich maßgeblich von der Blütenform ab. Länge und Form des Mundwerkzeugs der Insekten und die Größe und Form der Blüten sind genau aufeinander abgestimmt.3

Jedem Tierchen sein Pläsierchen

Noch viel exklusiver ist der Gaumen von pflanzenfressenden Insekten. Im Wettlauf der Evolution hat sich jede Insektenart an bestimmte Abwehrstoffe angepasst, die Pflanzen durchziehen, um sich zu schützen. So schreibt auch Englands bekanntester Hummelforscher und Naturschützer Dave Goulson: „Die Pflanzen entwickeln unter dem Evolutionsdruck neue Verteidigungsmechanismen, und die pflanzenfressenden Insekten folgen ihnen durch die Evolutionslandschaft, entwickeln Lösungen für die Probleme, vor die die Pflanzen sie stellen.“4 Das bedeutet: Je mehr Insekten auf bestimmte Pflanzen spezialisiert sind, desto stärker sind sie auch abhängig von ihrem Vorkommen. Das heißt im Umkehrschluss: Auf Blühflächen mit „exotischen“ Pflanzen fehlt das Futterangebot für genau diese Insekten.

Gewusst wie!

Der kritische Blick auf die Saatmischungen aus dem Supermarkt zeigt: Nicht alles, was glänzt, ist ökologisch wertvoll. Doch das Potenzial von Blühflächen für den Erhalt der heimischen Artenvielfalt ist gewaltig – wenn das richtige Saatgut zum Einsatz kommt. Deshalb sollte die Auswahl des Saatguts standortabhängig erfolgen. Ideal ist sogenanntes autochthones Saatgut. Dieses gebietseigene Saatgut wird durch Besammlung von Wildpflanzen in einer bestimmten Region gewonnen, um später, in der Regel nach einer Zwischenvermehrung, in dieser Region wieder ausgebracht zu werden. Dieses „Saatgut aus der Region – für die Region“ ist bei diversen Anbietern (je nach Gegend) online erhältlich.

Wohin mit den Blühflächen? Standortfaktoren erklärt

Worauf kommt es neben dem Saatgut noch an? Auf die Lage! Bevor das Saatgut gekauft wird, gilt es deshalb, den richtigen Standort zu finden. Abhängig von der Flächengröße kann dann direkt die passende Saatmenge geordert werden. Wenn Sie bei der Standortwahl auf die folgenden vier Aspekte achten, steht dem Insektenparadies nichts mehr im Wege.

Boden: Auf mageren Böden wie sandigen Hängen, Kiesgruben oder Berglagen wachsen bis zu 4.500 verschiedene einheimische Pflanzen – auf „fetten“ Böden gerade mal 90. Umso wichtiger ist es deshalb, darauf zu achten, dass die Böden nicht gedüngt sind (und werden).

Standort: Damit sich die Insekten richtig wohlfühlen, eignet sich am besten ein Platz an der Sonne. Doch Obacht! Blühstreifen bieten nur dann wirklich einen Mehrwert in Sachen Artenvielfalt, wenn sie auf Brachland angelegt werden. Wird eine natürlich gewachsene Fläche zunächst umgebrochen, ist der angerichtete Schaden größer als der ökologische Zugewinn.

Zeitraum: Je länger die Pflanzen sich ungehindert auf der gewählten Fläche ausbreiten dürfen, desto besser – am besten natürlich dauerhaft, mindestens aber fünf Jahre.

Größe: Für Insekten sind Größe und Form gesäter Blühflächen nicht entscheidend. Jeder Zipfel Pflanzenvielfalt ist hier hilfreich. In einer Agrarlandschaft sollte die Blühfläche möglichst nicht schmaler sein als drei Meter (besser breiter). Der Grund: Andere Artengruppen wie Vögel oder Kleinsäuger sind gefährdet, wenn der Streifen zu schmal ist.

 


Titelbild: Marina Reich/Unsplash

 

Quellen:

 1Dazu zählen zum Beispiel Japanischer Staudenknöterich, Drüsiges Springkraut oder Riesenbärenklau.

2Ökolandbau: Mehrjährige Blühflächen: starker Hebel für mehr Biodiversität

3NABU: Sinn und Unsinn von Blühstreifen

4Dave Goulson, Wildlife Gardening. Die Kunst, im eigenen Garten die Welt zu retten (München, 2019). Die ständige Fortentwicklung funktioniert dabei wie ein Motor für die gesamte Entwicklung des Ökosystems, denn Insekten selbst sind wiederum Beute für andere Insekten, Vögel, Fledermäuse und Amphibien, die wiederum Beute für andere Tiere sind.


Autor/-in

Valerie Bachert

Valerie Bachert ist Journalistin, Chefin vom Dienst und Nachhaltigkeits-Beauftragte. Ihr Interesse gilt den Bereichen ökologischer Landbau, bewusster Konsum, Artensterben, soziale Ungerechtigkeit und nachhaltige Ernährung.

Beiträge von Valerie Bachert


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